Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Das Heft, das eine Viertelmillion wert ist

| 4 Lesermeinungen

In Amerika wurde jetzt "Action Comics" Nr. 1, die erste Publikation mit Superman, für 317.000 Dollar versteigert - ein Rekord. Doch das ursprünglich für zehn Cent milionenfach verkaufte Heft ist die Inkunabel des Superhelden-Comics.

Der Rekordpreis für ein Comicheft steht seit vergangenem Wochenende auf 317.000 Dollar, also rund eine Viertelmillion Euro. Das ist auf den ersten Blick eine erstaunliche Summe, denn wie nun überall vermeldet wird, gibt es von „Action Comics” Nr. 1, dem so teuer versteigerten Heft, immerhin noch rund hundert Exemplare (und ich wette meinen Kopf, daß es weitaus mehr sind, denn das Heft verkaufte sich 1938 in fast einer Million Exemplaren, und auch wenn man mangelhafte Papierqualität, Zeitläufte und Elternnaivität als jeweils wichtige Faktoren berücksichtigt, die die Zerstörung von Comics begünstigen, sollte doch mehr als ein Zehntel Promill der ursprünglichen Auflage überlebt haben). Andererseits handelt es sich hier um eine – hier kann man den Ausdruck gar nicht vermeiden – Inkunabel der Comicgeschichte. Nein, es handelt sich um DIE Inkunabel der Comicgeschichte, denn nach „Action Comics” Nr. 1 war alles anders als zuvor.

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Vor allem gab es danach Superman. Dessen Debüt wird in „Action Comics” Nr. 1 erzählt. Daß es überhaupt dazu kam, war ein Zufall, denn Jerry Siegel und Joe Shuster, die beiden jungen Schöpfer von „Superman”, hatten ihre Idee über Jahre hinweg schon mehrmals erfolglos angeboten und waren gerade dabei, eine Publikation als Comic-Strip vorzubereiten, als die Macher von „Action Comics” verzweifelt nach einer Titelgeschichte für ihre erste Ausgabe suchten. Sie bekamen Superman empfohlen und akzeptierten in ihrer Not die sehr fantastische Geschichte von dem außerirdischen Baby, das auf einer kleinen Farm von amerikanischen Eltern aufgezogen wurde und als Erwachsener seine übermenschlichen Kräfte hinter der Maske eines biederen Reporters verbirgt. Siegel und Shuster arbeiteten in größter Hektik die schon im Comic-Strip-Querformat angelegten Bilder auf das hohe Heftformat um. Und Shuster, der Zeichner im Autorenduo, schaffte es auch noch, ein Titelbild für „Action Comics” zu machen: Superman wuchtet darauf eine Gauner-Limousine in die Höhe und hämmert sie gegen einen Felsen. So etwas hatte noch niemand gesehen. Das Zeitalter der Superhelden hatte begonnen.

Die Leser begriffen das sofort und kauften das Heft wie wild. Denn nicht nur der Umschlag, auch die dreizehn Superman-Comicseiten boten etwas ganz Neues. Nicht das Prinzip der Geheimidentität selbst war revolutionär, das kannte man aus den Pulpheften oder Radioserien wie etwa „The Shadow” längst. Aber die Superkräfte von Superman waren andere als die von Tarzan, Conan oder The Phantom, die alle im Rahmen dessen blieben, was Training mit etwas Phantasie bei einem Menschen bewirken kann.

Der Erfolg von Superman sorgte nicht nur dafür, daß die Serie weiter fortgesetzt wurde; schon zwei Jahre später gab es eine weitere, diesmal direkt nach Superman benannte Heftserie neben „Action Comics” – auch sie mit sensationeller Auflage. Und die Nachahmer waren kaum weniger zahlreich. Ich sage nur Batman, Captain America, Captain Marvel, Submariner, Daredevil.  

Das alles, der Mythos der Superhelden, macht den Rang von „Action Comics” Nr. 1 aus. Es ist für Comichefte, was die Gutenbergbibel für gedruckte Bücher ist: die Geburtsstunde der ganzen Gattung. Nicht, daß es zuvor keine Comichefte gegeben hätte. Aber sie waren nur in Maßen erfolgreich, und nur selten gab es darin eigens gezeichnete Geschichten zu sehen – geschweige denn einen ganz neuen Heldentyp. Ohne „Action Comics” Nr. 1 keine Comicheftkultur, genauso wenig wie ohne Gutenberg keine moderne Buchkultur. Daß sich beides auch anders hätte entwickeln können? Keine Frage. Aber so ist es eben nicht passiert.

Nun sind einzelne Gutenbergbibeln immer noch teurer als „Action Comics” Nr. 1. Der Verkauf der letzten Gutenbergbibel ist überdies etliche Jahre her; damals wurden umgerechnet rund fünf Millionen Euro bezahlt. In Relation zu Alter und Umfang betrachtet, ist das Superman-Heft der Bibel allerdings schon ziemlich auf den Fersen. Allerdings darf man nicht übersehen, daß die jetzigen 317.000 Dollar für ein Heft gezahlt wurden, das sich in ziemlich perfektem Erhaltungszustand befindet und ähnlich makellose Exemplare auch schon vor drei Jahren mit mehr als 200.000 Dollar taxiert wurden. Bemerkenswert jedoch, daß der bisherige Eigentümer des nun verkauften Heftes es vor einem halben Jahrhundert antiquarisch erworben hatte. Kaum eine Provenienz der bekannten Exemplare dürfte so lückenlos zurückzuverfolgen sein, und natürlich sichert eine derart langfristige sorgfältige Aufbewahrung auch den heute denkbar fragilen Groschenheften der dreißiger und vierziger Jahre ein längeres Leben, als wenn sie von Hand zu Hand wandern oder gar – horribile dictu! – gelesen würden.

Das ist indes die Perversität des Comic-Preisbooms, der die Wirtschaftskrise lässig zu meistern scheint, wie auch die Ergebnisse der Comicversteigerung des Pariser Auktionshauses Artcurial vom vergangenen Samstag nahelegen (dort erzielte die Originalzeichnung zum Cover von Hergés „Tim und Struppi”-Album „Die Krabbe mit den goldenen Scheren” einen Preis von 372.000 Euro und eine „Gaston”-Seite von André Franquin immerhin mehr als 50.000 Euro): Gelesen werden solch teure Hefte nicht mehr. Sie sind verschweißt, zertifiziert und versiegelt in durchsichtigen Plastikumhüllungen, und man muß den Einschätzungen der Gutachter schon glauben, wenn es um die im Katalog beschriebenen „sahneweiße” Seiten oder unrestauriertes Papier geht, denn sobald Sie als Käufer die Sache selbst überprüfen wollen, geht die Gewähr für diesen Zustand verloren, die in der Versiegelung liegt. Ich erinnere mich an eine Comicversteigerung vor einigen Jahren, auf der ich eines der seltenen, wenn auch nicht besonders teuren Winzhefte, die man aus Micky-Maus-Beilagen der sechziger Jahre zusammenbasteln konnte, kaufte. Es waren wirklich wunderbar ungeknickte Blätter, und das Schild auf der Plastikhülle warnte mich eindringlich vor dem Öffnen, denn damit erlösche die Zertifizierung. Ich hatte das Heftchen aber nicht zum Bestaunen gekauft, sondern zum Lesen. Der Wertverlust mag ja erklecklich gewesen sein, der Lustgewinn jedenfalls war größer.

So sitzt nun irgendwo in den Vereinigten Staaten (es gibt keinen öffentlich dokumentierten Fall eines ins Ausland verkauften Exemplars des ersten Superman-Heftes) jemand vor dem kleinen Plexiglassafe mit „Action Comics” Nr. 1 darin und himmelt das nahezu perfekte Exemplar an. Oder er ist vernünftig und befreit das Heft aus seinem Kerker und tut das damit, wofür die Sache vor einundsiebzig Jahren einmal gedacht war: Er liest. Ich weiß, das ist naiv. Dieses Heft wird aller Voraussicht nach nie wieder gelesen werden. Und sein Preis erklärt sich daraus, daß es schon seit fünfzig Jahren nicht mehr gelesen wurde. Aber genau dieses perverse Faktum sorgt für die Unterscheidung von Comicsammlern und Comiclesern. Mir sind letztere lieber.

 


4 Lesermeinungen

  1. techfieber sagt:

    Rekordpreis für ein...
    Rekordpreis für ein Comicheft: 317.000 Dollar!? Wow, wenigstens mal eine gute nachricht für die so gebeutelte print-medien-branche ;)

  2. monoman sagt:

    <p>Nun ist ja gerade jener...
    Nun ist ja gerade jener legendäre Superman-Erstling genügend oft als Nachdruck erschienen (auf deutsch etwa in der verdienstvollen FAZ-Comicbibliothek), so daß man sich in dieser Hinsicht um den Neubesitzer des alten Heftes keine Sorgen machen muss. Seltsam ist aber die Vorstellung eines Comics, das man nicht anfassen darf, allemal. Hat irgendwie schon etwas von dem gleichen Surrealismus, der ja auch gerade den Superheldencomics immanent ist.

  3. <p>Die Comicleser sind wir...
    Die Comicleser sind wir auch lieber. Aber das eine schließt nicht das andere aus. Ich bin beides: Begeisterter Leser und nicht minder begeisternder Sammler. Mein ganzer Stolz sind z.B. die ersten Hefte von “Die tollsten Geschichten von Donald Duck”, die z.Zt als Neuauflage in 5 teueren Sammlerboxen verkauft wird. Natürlich habe ich damals als Kind die Hefte vor Begeisterung mehrmals gelesen, aber war gottseidank schon klug genug sie sauber aufzubewahren. Besitze auch noch die, ebenfalls vom Ehapa-Verlag in den 60er Jahren erschienenen Superman-Hefte. Es muß also nicht unbedingt das erste “Action Comic” Heft aus den USA sein, um sich eine wertvolle Comic-Sammlung aufzubauen. Obwohl, natürlich wäre ich darüber glücklich gewesen, auch dieses Heft zu besitzen. Doppelt, eines zum Verkaufen und eines zum Weiterbehalten.

  4. meistermeyer sagt:

    gute story. das teuerste comic...
    gute story. das teuerste comic in meinem besitz ist ein sehr gut erhaltenes exemplar von mosaik nr 2 von 1955. war paar hundert euro wert.

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