Das Comic-Festival von Angoulême präsentierte in diesem Jahr eine Sonderschau zum flämischen Comic. Nicht vertreten war Peter van Dongen. Denn man setzte bei der Auswahl auf Eigenständigkeit und formale Avanciertheit. Damit jedoch verpasste man es, einem der beeindruckendsten graphischen Erzähler der Niederlande ein Forum zu verschaffen – wobei man sagen muß, daß sein Hauptwerk, der zweibändige Comic „Rampokan”, in Frankreich schon Jahre vor der jetzt erfolgten deutschen Erstveröffentlichung übersetzt worden ist.
Van Dongen zeichnet in lupenreinem Ligne-claire-Stil, also ganz im Geiste Hergés. Die Modifikationen de achtziger Jahre, also die Stilisierung der Ligne claire zum beinahe geometrischen Verfahren, wie Joost Swarte (der den Begriff „Ligne claire” geprägt hat) sie vollzogen hat, oder die großartige Dynamisierung, die Yves Chaland ihr angedeihen ließ, hat der 1966 geborene Amsterdamer nicht übernommen: Er arbeitet wirklich genau wie Hergé, und nur die Zusatzfarbe (bei van Dongen ist es ein Braun und vereinzelt, bei imaginären Szenen, auch Grau) macht einen entscheidenden Unterschied aus, wodurch das Ganze optisch nicht zum bloßen Abklatsch verkommt.
Inhaltlich besteht dieses Risiko nicht, denn obwohl man es als absolut konsequent betrachten kann, daß Peter van Dongen für eine Geschichte, die ein exotisches Abenteuer erzählt, jenen Stil wählt, der wie kein anderer in Europa mit einem solchen Thema verbunden wird (denn das machte ja den Hauptreiz von „Tim und Struppi” aus: daß darin ferne Länder zu einer Zeit vorgeführt wurden, als man sie weder aus eigener Erfahrung eines Pauschalreisenden noch aus der eines Fernsehzuschauers kannte), hat doch das, was in „Rampokan” berichtet wird, gar nichts mit „Tim und Struppi” zu tun. Es handelt sich um ein höchst erwachsenes Geschehen, mit Sex und Crime und Folter und Kriegsverbrechen, und vor allem ist die fiktive Geschichte akribisch mit historischer Recherche unterfüttert, also allemal realistisch.
Sie erzählt von einem jungen Niederländer, der vor dem Zweiten Weltkrieg als Sohn eines in den ostindischen Kolonien, dem heutigen Indonesien, lebenden Pflanzers geboren wurde und aufwuchs. Zum Studium verschlug es ihn ins Mutterland, wo er vom deutschen Angriff überrascht wurde. Erst nach Kriegsende kann er somit in seine eigentliche Heimat auf die Insel Celebes zurückkehren. Dort aber herrschten fast vier Jahre japanische Besatzung, die den Bewohnern Indonesiens Hoffnung auf Selbständigkeit gemacht hatte. Entsprechend unruhig geht es dort nun zu, und die niederländischen Soldaten, die zur Sicherung der Kolonie entsandt werden, verstehen die Welt nicht mehr, weil das ehedem friedliche Inselreich plötzlich von Aufständen und Gewalttaten erschüttert wird.
Der junge Mann, Johan Knevel, tötet auf der Überfahrt nach Batavia, der Haupstadt von Java, einen Kameraden, der als kommunistischer Unruhestifter nach Indonesien reisen wollte. Fortan wird Johan vom Geist des Toten verfolgt, und zugleich muß er sein dunkles Geheimnis vor Entdeckung bewahren. Damit wird er erpreßbar und ist alsbald in dunkle Schwarzhändler-Geschäfte verwickelt. Zusätzlich aber sucht er seine alte Kinderfrau, für die er eine nostalgische Zuneigung hegt. So prallen emotionale und merkantile Interessen aufeinander, und mit den rauhbeinigen Vorgesetzten in der Kaserne, die keine Rücksicht auf die asiatischen Bürger nehmen, kommt noch eine dritte Komponente konfliktschürend dazu.
Alsbald entwickelt sich eine überaus komplex gewobene Geschichte, in der subkutan die Geschichte des indonesischen Unabhängigkeitskampfes mit erzählt wird. Mehr als 160 Seiten hat Peter van Dongen dafür zur Verfügung – die erste Häfte spielt auf Java, die zweite auf Celebes, und entsprechend heißen auch die beiden Alben. Dennoch ist die Handlung bisweilen übereilt, es wird zuviel Stoff in die verschiedenen Erzählstränge gepackt. Van Jongen wählt zudem eine Darstellungsform, die mit Bildmetaphern arbeitet, zwischen den Zeitebenen wechselt und allegorische Passagen aufweist. Langsam schält sich auf diese Weise ein Geheimnis aus dem Ganzen heraus, das weitaus unspektakulärer ist als die große politische Auseinandersetzung, aus der sich keiner der Beteiligten lösen kann, das jedoch die Keimzelle all der anderen Verwicklungen bildet: Kolonialisten können nicht aus ihrer Haut, auch wenn sie das kolonialisierte Land und dessen Menschen lieben.
So ist das Abenteuer, als das „Rampokan” an der Oberfläche erscheint, auch selbst eine politische Stellungnahme, die in den Niederlanden, wo die beiden Bände nach jeweils mehrjähriger Arbeit 1998 und 2004 erschienen, auf ein Vorwissen zählen durfte, das den meisten deutschen Lesern fehlen wird. Zwar gibt es hilfreiche Erläuterungen, und etliches erschließt sich während der Lektüre, aber zum Beispiel die Abfahrt im Jahr 1950, die den Abschluss des Ganzen bildet, ist missverständlich, wenn man nicht weiß, daß damals die letzten holländischen Truppen aus Indonesien abziehen mußten – nach erbittertem Kampf gegen die Unabhängigkeitsbewegung.
Den Schrecken dieses Krieges dokumentiert van Jonker ganz genau, und da dankt man es bisweilen der abstrahierenden Wirkung der Ligne claire, daß sie abgeschlagene Köpfe und Glieder leichter erträglich macht. Wer nicht die Mühe scheut, sich auf mehrere Stunden intensive Lektüre einzulassen, dem winkt mit „Rampokan”, das auf deutsch beim Berliner Avant-Verlag erschienen ist, ein mitreißendes Erlebnis. Und ganz nebenbei eben auch eine lehrreiche Geschichtsstunde.