Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Nazis als Schießbudenfiguren: Der neue Spirou-Sonderband

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Darf man das? Einen Abenteuercomic ins besetzte Brüssel der Jahre 1942 bis 1944 versetzen und dann Spirou als Resistancekämpfer gegen die Deutschen antreten lassen? Wenn es so geistvoll gemacht ist wie von Yann und Schwartz im gerade in Belgien erschienenen "Le Groom vert-de-gris" dann darf man das. Nur wir in Deutschland werden bestenfalls ein andere gestaltetes Album lesen dürfen, wenn es denn übersetzt wird.

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Werden wir das in Deutschland zu sehen bekommen? Ein Trupp Wehrmachtssoldaten, der von einer Razzia in Brüssel so zurückkommt, wie wir es sonst im Comic nur von den Römern aus „Asterix” kennen: verprügelt, gedemütigt, derangiert, die Verwundeten mitschleppend – und natürlich bibbernd vor dem Zorn des Vorgesetzten? Hier hatte der Zeichner Olivier Schwartz, Jahrgang 1963, sichtbar seinen Spaß am Verweis auf jene Comics, die seine eigene Jugend bestimmt haben. Und warum sollte man die deutschen Besatzer in Belgien nicht als Schießbudenfiguren darstellen dürfen? Schön, wenn es wenigstens heute darüber etwas zu lachen gibt.

Aber das ist gar nicht der Grund, warum ich einigermaßen schwarzsehe, daß ein grüngrauer Page uns in Deutschland erreichen wird. „Le Groom vert-de-gris” lautet der Titel des in Belgien gerade erschienenen neuen Sonderbandes der Reihe „Spirou”. Auf seinem Titelbild kann man die Hauptfigur, eben den Pagen Spirou, sehen – in der Tat in eine ungewöhnliche grünschwarze Uniform gekleidet und inmitten eines Suchscheinwerfers von einer Hausfassade hängend. Aber woran hängt er? An einer knallroten Fahne mit dem Hakenkreuz in der Mitte. Und damit ist die Frage, ob wie „Le Groom vert-de-gris” jemals auf Deutsch sehen werden, immerhin teilweise schon beantwortet: In dieser Form und mit diesem Titelblatt ganz sicher nicht, denn hierzulande ist die Darstellung des Hakenkreuzes untersagt.

Wer es für diesen Fall nicht glauben will und sich damit herausreden möchte, daß Spirou in seinem neuesten Album doch als belgischer Widerstandskämpfer auftritt, den Deutschen die Sache schwer macht und sie als lächerliche Figuren darstellt, so daß wohl kaum eine Verherrlichung von NS-Symbolen zu befürchten wäre, hat einerseits recht, muß sich aber andererseits nur die deutschen Übersetzungen von Mike Mignolas amerikanischer Serie „Hellboy” ansehen, wo mit Nazis eher noch spöttischer umgegangen wird als im neuen „Spirou”, und dennoch sind dort auf allen Armbinden oder Fahnen sämtliche Hakenkreuze fein säuberlich retuschiert. Man traut der Kraft des Lachens einfach nicht.

Nun könnte man auch noch weitere Gründe anführen, die „Le Groom vert-de-gris” (was man wohl, dem deutschen Sprachgebrauch entsprechend, als „Der feldgraue Page” übersetzen müßte) als wenig geeignet für ein deutsches Publikum erscheinen lassen. Da gibt es etwa eine Szene, in der Spirou eine ihn verfolgende Motorrad-Patrouille der SS in Flammen aufgehen läßt, um sich dann die Nase zuzuhalten und zu sagen: „Was stinkt diese gegrillte SS-Wurst!” Und sein treuer Begleiter, das Eichhörnchen Spip setzt noch einen drauf und denkt sich: „Da hat der gute Spirou den Hot-Boche erfunden” – wobei „Boche” eine im Französischen gängige Beleidigung für Deutsche ist (ein paar weitere kann man in der Geschichte kennenlernen).

Aber der Band nimmt sich nicht nur die frühen vierziger Jahre zur Handlungszeit, er nutzt auch die damals gängigen, ungleich rauheren Erzählweisen. Im Zweiten Weltkrieg ging man mit dem Gegner nicht gerade zimperlich um, wenn er überhaupt in den Comics auftrat; das kann man sich in den ersten amerikanischen Superhelden-Geschichten immer wieder schön vor Augen führen. In Frankreich und Belgien dagegen war man zurückhaltender – anfangs, weil es als nicht opportun betrachtet wurde, deutliche politische Botschaften mittels Comics zu verbreiten, und später, weil man sein Leben riskiert hätte, denn 1940 hatten die Deutschen Belgien und Frankreich besiegt und besetzt.

Allerdings wurden weiter munter Comics produziert, unter anderem auch „Spirou”, der  1937  von Robvel erfunden worden war, vor allem aber die damals ungleich beliebtere Serie „Tim und Struppi”, die deren Zeichner  Hergé in der Tageszeitung „Le Soir” fortführte. Deshalb wurde er nach dem Krieg der Kollaboration mit den Deutschen beschuldigt, und das hat gerade die belgische Comic-Geschichtsschreibung vergiftet. Die Jahre von 1940 bis 1944 sind ein vermintes Feld.

Genau deshalb haben der Szenarist Yann und der Zeichner Olivier Schwartz ihren Spirou-Band jetzt dort angesiedelt. Die Albenreihe „Une Aventure de Spirou et Fantasio”, die seit einigen Jahren  erscheint, ist außerhalb der regulären Spirou-Serie angesiedelt und gestattet den Autoren alle Freiheiten. Sie können die bisher geltende Geschichte des Helden umschreiben, also neue Ereignisse einführen oder alte ändern, und generell müssen sie dementsprechend wenig Rücksicht auf Plausibilität nehmen. Spätestens als Émile Bravo mit seinem 2008 erschienenen Band „Le Journal d’un ingénu”, der die Frühgeschichte von Spirou als Page im Hotel Moustic ganz neu erzählte, nicht nur riesigen Leserzuspruch fand, sondern auch diverse Auszeichnungen erhielt, hat man den Reiz solcher alternativen Heldensagen erkannt. „Le Groom vert-de-gris” setzt nun ziemlich genau da an, wo Bravo sein Abenteuer enden ließ.

Und so wird Spirou darin der erste frankobelgische Comic-Resistancekämpfer. Gleich zu Beginn schon übermalt er deutsche Propagandaplakate in Brüssel und läuft dabei einer Militärstreife in die Arme. Pikant aber ist: Als Page im „Moustic” arbeitet Spirou für die Gestapo, die dort ihr belgisches Hauptquartier hat. Mit dem entsprechenden Sonderausweis ausgestattet, genießt Spirou bei seinen Sabotageakten Narrenfreiheit, doch er gerät auch unter den Verdacht, selbst ein Landesverräter zu sein.

Das ist die grobe Handlung, die durch allerhand Wunderwaffen, Verfolgungen und Verschwörungen weiter aufgepeppt wird. Man mag dabei die Einführung eines versteckten jüdischen Mädchens à la Anne Frank für geschmacklos halten, aber wenn die Kleine, in die sich Spirou sofort verliebt, am Ende tatsächlich deportiert worden ist (was man nicht sieht, sondern nur erzählt bekommt), dann ist das eine pathetische Szene, in der der Tod, mit dem zuvor recht frivol umgegangen wurde, seine Brutalität zurückerhält.

Spannend ist die Geschichte allemal, dazu angereichert durch erkennbares Vergnügen an Klischees – und vor allem durch zahllose Zitate aus der Comic-Historie. Die bisherigen Zeichner von „Spirou” bekommen Straßenschilder im Brüssel der vierziger Jahre gewidmet, wobei das schönste als Rue Saint Yves auf den 1990 tödlich verunglückten Yves Chaland verweist, auf den sich ohnehin der ganze nostalgische Stil des Albums bezieht. Zahlreiche Figuren der ersten „Spirou”-Jahren bekommen ihren Auftritt, zum Teil in tragenden Rollen wie der Boxer Poildur. Aber der Verweisreichtum endet nicht bei der eigenen Serie. Die Anleihen bei „Asterix” wurden schon erwähnt, und es dürfte schwer sein, eine erfolgreiche französischsprachige Comicreihe zu finden, die hier keine Hommage abbekommen hat. Beispiele dazu bietet etwa das Splash-Panel der Seite 29:

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Links steht Hergé, der auch schon zuvor als reale Person erwähnt (und beschimpft) wurde und skizziert im Beisein von seinen Zeichnerkollegen Edgar Pierre Jacobs und André Franquin. Der Herr mit dem Kinnbart und der schweren Hantel neben ihm ist Jerôme, Held der gleichnamigen Comicserie des Belgiers Willy Vandersteen (auf deutsch kurzfristig als „Wastl” erschienen). Der Herr vor dem grauen Straßenkreuzer im Hintergrund ist Bob Fish von Yves Chaland, dessen Figur Petit Albert etwas weiter nach rechts als Baby gerade dabei beobachtet werden kann, wie er eine Katze mißhandelt. Weitere Figuren aus diversen Comics sind zu sehen, und im Bild darunter könnte man im Flohmarkttrubel sogar den Verkauf jenes Schiffsmodells der „Einhorn” beobachten, das in Hergés „Tim und Struppi”-Serie so eine wichtige Rolle spielt. Tim selbst kann man auf der zwölften Seite des Albums aus der Vogelperspektive als im Wortsinne rasenden Reporter beobachten, und Struppi hat sogar zwei Auftritte im Laufe des Comics, dabei einmal mit den berühmten Konservendosen aus „Die Krabbe mit den goldenen Scheren”.

Jede Seite des „Groom vert-de-gris” bietet Comicfreunden solche Anspielungen und augenzwinkernden Verweis, weshalb man nur hoffen kann, daß die zahlreich im Album dargestellten Hakenkreuze kein echtes Hindernis für eine deutsche Ausgabe sein werden. Ein Beispiel nur noch, für die wunderbare Art, wie hier Comic-Tradition zum Gegenstand der Handlung gemacht wird: Als schließlich das Hotel Moustic von alliierten Bombern zerstört wird, schlägt eine Rakete in einem Zimmer ein, in dem gerade ein Gestapo-Offizier einen Gefangenen verhört.

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Diese Szene ist eine Paraphrase aus André Franquins „Spirou”-Album „QRN ruft Bretzelburg”, das in den frühen sechziger Jahren auch schon eine grandiose Parodie auf die Klischees der militaristischen Deutschen bot. Damals wurde Spirous Freund Fantasio von einem skrupellosen Handlanger dadurch gefoltert, daß er mit einem Messer quietschend über einen Porzellanteller fuhr – Schlimmeres wollte man damals den jugendlichen Lesern nicht zumuten. Genau diese Szene, aber mit leicht umgezeichneten Akteuren, hat sich gerade im Zimmer des „Moustic” abgespielt, und leider hielten Yann und Schwartz es wohl für notwendig, auf die Wandtafel (die in „QRN ruft Bretzelburg” auch zur Quälerei eingesetzt wird) die drei Buchstaben QRN zu schreiben.

Aber keine Sorge: Die meisten Anspielungen sind weitaus subtiler inszeniert. Man möge nur einmal zählen, wie häufig Hergés Suske und Wiske durch die Bilder laufen, und wer will, kann Yves Chalands Comics zur Hand nehmen: Er wird Dutzende von Reminiszenzen finden. Man merkt dem Abum das Vergnügen an, das Yann und Schwartz bei der Arbeit gehabt haben. Da kann man über ein paar Ausrutscher leicht hinwegsehen. „Spirou” ist mit diesem Band auf dem besten Wege, sich mit seiner Sonderreihe als wichtigstes Forum für Genreparodien zu etablieren. Damit könnte die Serie den Platz einnehmen, den „Asterix” jahrzehntelang besetzt hat.


1 Lesermeinung

  1. vhamann sagt:

    <p>Hallo...
    Hallo Andreas.
    Spirou ist in diesem Album – entgegen deiner Vermutung – keineswegs ein Handlanger der Gestapo, sondern vielmehr ein Doppelagent, der nur so tut als ob … Natürlich!
    Und das besprochene Album ist im Carlsen Verlag bereits in seiner deutschen Übersetzung in Vorbereitung. Olivier Schwartz hat ein neues Cover gezeichnet, um die oben besprochene Problematik zu umgehen.
    Und als letzte Hinweise: Die Serie “Suske en Wiske” stammt vom Flamen Willy Vandersteen, und der neben Hergé und Jacobs stehende Herr ist nicht Franquin, sondern der spätere erste Chefredakteur vom Tintin-Magazin Jacques van Melkebeke; dem Marsupilami-Erfinder André Franquin setzen Zeichner Schwartz und Szenarist Yann ein viel bedeutendes Denkmal – im wahrsten Sinne des Wortes – in und mit diesem Album … !
    Viele Grüße!

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