Vor ein paar Tagen rief mich ein Urgestein der rheinischen Comicszene an: Lothar Schneider, von dem ich gar nicht weiß, wann wir uns zum ersten Mal gesprochen haben, doch er ist so lange dabei, wie ein Mensch meines Alters denken kann, und das ist mittlerweile schon ziemlich lang. Lothar betrachtet sich als Donaldisten im Herzen (was mir sympathisch ist), der aber den organisierten Donaldismus mit größtem Mißtrauen begegnet (was mir unverständlich ist). Meinem Wissen nach hat er noch nie eine donaldistische Veranstaltung besucht, aber seine Meinung, daß wahre Entenhausen-Liebhaber sich da besser raushalten sollten, steht trotzdem fest.
Warum erzähle ich das, obwohl es für seinen Anruf bei mir gar keine Rolle spielte? Weil es zu dem paßt, was sich aus diesem Anruf entwickelte. Es geht um nicht weniger als um Rassismusvorwürfe, Geschichtsklitterung, Drohungen und Rivalität. Wie passe ich da hinein? Gar nicht, möchte ich hoffen. Aber ich habe mir die Sache, um die es eigentlich geht, nu einmal angesehen.
Oder halt: Das habe ich doch nicht, denn der Auslöser des Ganzen ist zur Zeit schwer zu bekommen, und ich besitze ihn nicht. Es handelt sich um ein Buch, den Nachdruck jener Bildergeschichten um den Igel Mecki, die im Jahr 1958 in der Rundfunk- und Fernsehzeitschrift „Hörzu” erschienen sind. Der Kinderbuchverlag Esslinger, der zum Stuttgarter Klett-Imperium gehört, hat mit dem 64 Seiten umfassenden Band kürzlich eine neue Reprint-Reihe eröffnet, die nach und nach die lange vergessenen Geschichten von Reinhold Escher und Wilhelm Petersen, den beiden wichtigsten Mecki-Zeichnern der Frühzeit, wieder zugänglich machen will. Derzeit ist das Buch aber nicht erhältlich, weil der Verlag die Auslieferung erst einmal gestoppt hat. Und das kam so.
Wir müssen dazu weit zurück: Mecki erlebte sein Debüt in der „Hörzu” 1949, doch die Figur gab es schon länger: Sie entstand ursprünglich für einen Trickfilm nach der Fabel von Hase und Igel, den die deutschen Animatoren Ferdinand und Hermann Diehl 1938 angefertigt haben; für die „Hörzu” wurde ihr Figurenentwurf lediglich neu belebt und auf den Namen „Mecki” getauft.
1938 – das fällt in eine denkbar unerfreuliche Phase der deutschen Geschichte, und manche Interpreten haben auch in den Nachkriegsgeschichten mit „Mecki” Relikte nationalsozialistischer Rassenideologie finden wollen. Das ist ein gewichtiger Vorwurf, der durch die dubiose Rolle von Wilhelm Petersen erleichtert wird, der im Alter von zwanzig Jahren als Freikorpsangehöriger am Kapp-Putsch gegen die Weimarer Republik teilnahm, später der NSDAP beitrat und bis 1945 zu den vom Regime geschätzten Malern in Deutschland zählte. Das alles aber ist nicht neu und auch im Hinblick auf den harmlosen Igel Mecki oft erzählt worden.
Noch einmal erzählt hat es am 25. Juli in der „Frankfurter Rundschau” der Comic-Kritiker Stefan Pannor. Er hat mit „Mecki” erkennbar nicht viel am Hut, aber das ist sein gutes Recht. Kurz vor Schluß seiner Besprechung der wiederaufgelegten Geschichten schreibt er zu Petersen: „Das Weltbild schimmert unter der oberflächlich harmlosen ‚Mecki’-Welt immer wieder vor. Als der Igel und seine Frau den Schurken Schofel verfolgen, gelangen sie in einen vor allem von Zigeunern bevölkerten Landstrich, ‚Lausedonien’ genannt. ‚Hast du das Huhn gestohlen?’, fragt Mecki einen zerlumpten Jungen. Das ist zwar nicht der Fall. Aber Ordnung muss sein.”
Der Artikel erregte Aufsehen, vor allem bei Vertretern der Sinti und Roma. Diese Volksgruppen reagieren empfindlich, wenn die traditionell meist herabsetzende Bezeichnung „Zigeuner” verwendet wird. Aber das Wort fällt bei „Mecki” gar nicht; es wird hier nur von Pannor gebraucht – zur Beschreibung der Einwohner von Lausedonien, die offenbar jenen Klischees entsprechen, die man in den fünfziger Jahren von Sinti und Roma hatte: dunkelhäutig, elend, kriminell. Der Name „Lausedonien” ist diesbezüglich ja bereits denkbar beredt.
Nun wäre alles sicher gar nicht so hochgekocht, wenn die „Frankfurter Rundschau” Pannors Besprechung nicht mit einem Text von Silke Rummel auf einer Seite kombiniert hätte, der sich einer Wallfahrt widmet, die vor allem für Sinti und Roma von großer Bedeutung ist. Natürlich lasen viele Angehörige dieser Minderheit die Zeitung dieses Artikels wegen, und sie stießen zwangsläufig auch auf den Beitrag von Pannor, der zudem mit einem Bild versehen war, das Mecki neben einem der von ihm vermuteten dunkelhäutigen Bösewichte aus Lausedonien zeigte. Über den Esslinger Verlag brach prompt eine Protestwelle herein. Dabei hatten die Redakteure bei der Zusammenstelung des Buches bereits zwei „Mecki”-Geschichten des Jahres 1958 ausgesondert, weil man sie aus heutiger Sicht für „politisch unkorrekt” hielt. Mit Ärger hatte man also nicht mehr gerechnet. Als er dann doch kam, stellte der Verlag binnen weniger Tage den weiteren Vertrieb des „Mecki”-Bandes ein.
Nun hat Mecki aber etliche Liebhaber unter nostalgischen Comiclesern, und natürlich waren Pannors Artikel und dessen Folgen bei ihnen nicht unbemerkt geblieben. Das von Lothar Schneider als Administrator mitbetriebene Internet-Forum Comic-guide.net widmete sich der Sache, und im lediglich Mitgliedern des Forums zugänglichen Bereich wurden zahlreiche Meinungen dazu ausgetauscht, die aber alle einen Tenor hatten: Unglaublich, was dem unschuldig-kindlichen Mecki da durch einen selbstherrlichen Journalisten angetan worden ist!
Am Donnerstag, den 30. Juli, rief mich Lothar an und wies mich auf die Sache hin. Er lud mich als Mitglied des Comic-guide-Forums ein, dort gleichfalls Stellung zu beziehen. Ich hatte die Sache nicht verfolgt, holte das aber abends nach. Am nächsten Tag hakte Lothar noch einmal nach: Ob ich nicht in der F.A.Z. der Meinung Pannors widersprechen wolle. Der ehrenwerte Esslinger Verlag sitze jetzt verzweifelt auf den unverkauften Büchern, die Fortführung der Reihe sei nach diesem Mißgeschick mit dem Auftaktband ernsthaft in Gefahr. Nun schreibe ich Zeitungsartikel nicht im Auftrag anderer und auch nicht, um mehr oder weniger ehrenvolle Projekte zu retten. Mich interessiert die Sache selbst.
Der Mecki-Band selbst war in Frankfurt nicht mehr zu bekommen. Aber man braucht sich nur die Abbildung in der „Rundschau” anzusehen, um festzustellen, daß hier zweifellos mit den von Pannor inkriminierten Klischees gearbeitet wird. Das war jedoch nicht ungewöhnlich in den fünfziger Jahren und sagt noch wenig über etwaige ideologische Bedenklichkeit von „Mecki” aus. Aber wir reden ja nicht über die fünfziger Jahre, sondern über heute, und darüber, wie diese Geschichten in der Gegenwart wirken. Als Gesamtausgabe hätte eine neue Mecki-Edition zweifellos ihren kulturhistorischen Wert, doch der Verlag hatte ja eh schon zwei Geschichten gestrichen. Es ist also klar, daß sich die Reihe nicht an Comic-Historiker wendet (deren es auch entscheiden zu wenige gäbe, um die Sache kommerziell interessant zu machen), sondern an das breite Publikum der Nostalgiker. Und die wollen vor allem eines: ihre heile Welt. Eine legitime Sehnsucht.
Die aber muß ein Journalist nicht teilen. Und Leute, die sich durch die Darstellung ihrer sozialen Herkunft in Bildergeschichten verunglimpft sehen, müssen das auch nicht. Hier könnte dann die Diskussion beginnen, wie es sich mit Mecki denn verhält: Ist die Darstellung bösartig oder zeittypisch? Aber darüber wird in Comic-guide.net nicht debattiert, und ich hatte mittlerweile alle Einträge gelesen. Der Tonfall der dortigen Beiträge war nicht dazu angetan, Lust darauf zu machen, sich in diese Schlangengrube zu begeben, zumal etliche Statements voller Perfidie gegenüber journalistischer Comic-Kritik im Allgemeinen waren. Ich hätte meinen Beruf schon sehr hassen müssen, um mich da einzureihen, vom Niveau der Texte im Forum ganz zu schweigen, die sich vor allem darin überboten zu überlegen, wie man Pannor die eigene Verachtung am besten spüren lassen könnte. Hinweise, wie man an seine Telefonnummer kommt, waren jedenfalls zahlreich.
Es ist eine typische Überschußreaktion, das, was man liebt, heftiger zu verteidigen als unbedingt nötig. Aber muß man dazu perfide werden? Neben Lothar Schneider kenne ich auch Stefan Pannor. Als ich mich aus anderem Grund am vergangenen Sonntag mit ihm traf, erkundigte er sich, welche Meinung ich denn zu der Auseinandersetzung hätte. Man habe ihm zugetragen, daß ich von Comic-guide um einen Beitrag gebeten worden bin, weil eine ganze Front gegen ihn aufgebaut werden sollte. Wer Stefan das gesagt hat, wollte ich gar nicht wissen. Allein die Tatsache, daß von wem auch immer die Meinung vertreten wird, daß eine Welle des Abscheus gegen einen Kritikerkollegen inszeniert werden solle, ist beschämend für die ganze deutsche Comicszene. Ich weiß nicht, ob Lothar diese Absicht hatte, als er mich aufforderte, auch das Wort zu ergreifen. Aber Stefan wiederum hat nach dem Start der Diskussion in Comic-guide mehrere Drohanrufe erhalten. Wo leben und was lesen wir eigentlich, wenn angebliche Verteidiger der kindlichen Unschuld, die „Mecki” ausmachen soll, die feigsten Methoden ergreifen, die man sich vorstellen kann?
Ach ja, und warum der anfängliche Verweis auf Lothars Meinung zum wahren Donaldismus? Weil auch sie allein damit begründet wird, daß man doch Entenhausen lieben müsse. Donaldismus, wie ihn die D.O.N.A.L.D. betreibt, kann aber manchmal auch unerfreuliche Aspekte Entenhausener Lebens zutage fördern. Und er erfordert intensive und sachliche Beschäftigung mit den Gegenständen. Keine Liebesdienste.
<p>@sebiprivat Comics mögen...
@sebiprivat Comics mögen zwar der Entspannung dienen, aber als kulturelles Phänomen haben sie auch eine Geschichte – mit Irrwegen, mit Emotionen und allem, was damit einhergeht. Man kann sie aus verschiedenen Gründen lieben oder auch pointiert seine Abneigung äußern.
Oh Gott, das hört sich sehr...
Oh Gott, das hört sich sehr nach vielen Intrigen an… Ich dachte eigentlich, dass Comic-Zeichnen Entspannung ist und gute Laune verbreiten sollte. Sowohl beim Zeichner als auch bei den Lesern…