Ist es Moebius, der da vom Turm der ehemaligen Pariser Telegraphiezentrale winkt? Nein, es ist Arzak, sein kosmischer Held aus den siebziger Jahren, der nun zu neuem Leben erwacht.
Die Sonne ist auch zurück in Paris, und im goldgelben Herbstmorgenlicht erhebt sich der Turm der früheren Generalagentur für Telegraphie in einem der zahlreichen Innenhöfe der französischen Hauptstadt, die sich dem Zugang sonst verschließen. Gleich nebenan liegt das Einwanderungsministerium, etwas weiter vorne in der engen Straße das Bildungsministerium – praktisch, da haben Demonstranten keine guten Chancen. Doch jetzt ist alles still, und der riesige umbaute Hof, an dessen Ende der achtstöckige Turmbau prunkt im Glanz des Artdéco. Was für ein Platz für eine Moebius-Ausstellung!
Moebius, das ist neben dem Amerikaner Robert Cumb der bedeutendste lebende Comiczeichner. Geschmacksfragen mal ganz beiseite geschoben (ich liebe beider Werk), haben sie jeweils eine Wirkung auf jüngere Zeichner dies- und jenseits des Atlantiks (und Moebius sogar in Japan) ausgeübt, die gar nicht überschätzt werden kann. Und es dürfte wenige Zeichner geben – und damit meine ich Zeichner in allen Bereichen, also auch das, was man so gerne Kunst nennt – die einfallsreicher und handwerklich besser sind. Im Grunde genommen glaube ich, daß es gar keine gibt.
Moebius bedeutet also Pflicht. Jeder neue Comic sowieso, schließlich ist der Mann einunsdsiebzig und ernährt sich so gesund, daß man täglich das Schlimmste befürchten muß. Und seine Ausstellungen sollte man allemal besuchen. Diese nun verspricht Besonderes: Es handelt sich nicht nur um die erste Präsentation von „Arzak”, der Fortsetzung des legendären Bandes „Arzach” von 1976, der zu den wegweisenden Arbeiten des europäischen Comics gehört und ganze Generationen von Filmemacher, Illustratoren oder auch Comiczeichnern geprägt hat , sondern damit verbunden sein soll laut Einladung auch eine Präsentation von fünfzig meist noch unbekannten neuen Bildern, die teilweise zu erwerben sein würden. Hélas, dafür wird die Brieftasche nicht reichen. Haben doch erst eine Woche zuvor ein paar in Paris versteigerte Bilder Ergebnisse von bis zu 16.000 Euro erzielt, und Moebius ist nicht bekannt für zurückhaltende Preispolitik in eigener Sache. Und doch auch Hurra, denn da gibt es einiges zu sehen, und das in einer Umgebung, die in ihrer Zeit, den zwanziger Jahren, ähnlich exotisch-futuristisch gewirkt haben muß wie die Welten des Zeichners heute auf uns.
Vor dem Durchgang zum Hof steht ein kleines Schild: Exposition Moebius. Der Pfeil weist auf eine zweiflügelige Glastür, die mit einer Kette verschlossen ist. Doch rechts kann man durch einen Seiteneingang in den Hof. Dann geht es zum Turm und dank des zweiten Schilds ins Foyer. Dort stehen bereits mehrere Gäste, es ist kurz nach neun, die Ausstellung hätte gerade geöffnet sein sollen. Aber wo ist sie? Die Schilder hören auf, keiner weiß Rat, bis jemand ganz vorne im Hof eine Pförtnerin auftreibt, die uns auf den sechsten Stock und damit in die Aufzüge verweist. Und tatsächlich: Neben der Etagentafel klebt dort ein winziges Papierchen „Moebius”.
Kaum steigen wir oben auf, empfängt uns Gelächter. Da stehen andre, die schon länger warten. Die Tür zum eigentlichen Geschoß sind zu, aber durch ein Fenster kann man auf den Turm sehen, und hinter ihm erhebt sich jenseits der Seine die Kuppel des Grand Palais über ads sonnenbestrahlte Häusermeer. Hier muß Moebius gestanden und die Zeichnung zur Einladung gezeichnet haben, auf der Arzach uns vom Turm herab zuwinkt. Oder eben, wie er sich nun schreiben soll, Arzak. Oder zuvor auch schon mal Harzach. Das Spiel mit Namen und Masken ist das liebste von Moebius Er heißt in Wahrheit ja auch Jean Giraud.
Nach einer weiteren Viertelstunde vergeblichen Wartens gehen wir wieder, um zu frühstücken. Dann steht bei der Rückkehr tatsächlich die Tür zum Ausstellungsraum offen, aber es steht noch mehr – einmal die ganze, inzwischen auf rund dreißig Personen angewachsene Gesellschaft müßig herum und dann die Ausstellung noch auf dem Boden, weil es wohl nicht gereicht hat, die gerahmten Zeichnungen an den Wänden zu befestigen. Ist wenigstens die eigens für den heutigen Anlaß gedruckte Vorzugsausgabe des neuen „Arzak”-Bandes, die im Gegensatz zur normalen Ausgabe schwarzweiß gehalten und zudem in noch geringerer Auflage auch signiert erhältlich sein soll, schon eingetroffen? Leider nein, bescheidet die junge Dame, die offensichtlich aufgeschlossen hat. Darauf warte man noch, wie lange, das wisse sie nicht.
Im Nachbarraum stehen immerhin einige Bilder auf Staffeleien, und es hängt dort auch einiges an der Wand. Die aufgeklebten Nummern weisen diesen teil der Ausstellung als den zum kauf angebotenen aus – bezeichnend, daß hier alles fertig geworden ist. Es sind schöne Bilder, typischer Moebius mit Wüsten und fremdartigen Tieren und natürlich Arzak, aber die allerschönsten sind schon verkauft, wie ein roter Punkt signalisiert. Wann, das weiß hier niemand.
Es ist auch egal, denn die Preise gehen bei 10.000 Euro los und erreichen schließlich 30.000. Keiner davon dürfte in einer Auktion derzeit zu erzielen sein, denn dort sind bedeutendere Arbeiten günstiger weggegangen. Trotzdem schaut man gerne hin, bewundert die Eleganz und das Kolorit der Zeichnungen. Selbst die in Acryl gehaltenen Großformate haben den typischen Moebius-Touch, und dann stand vorne noch eine Bleistiftzeichnung, ein Porträt von Arzak, in das alle Meisterschaft des Künstlers eingeflossen ist. Es st unverkäuflich, darum lehnt es auch nur am Fuß einer Staffelei.
Eine kleine Suite von drei gerahmten Seiten läßt einen ersten Eindruck des neuen „Arzak”-Albums zu. Die Tuschezeichnung ist am Computer mit Grautönen laviert worden, und dabei sind auch diverse Partien nachgearbeitet worden, so daß das eigentliche Original gar nicht mehr dem entspricht, was dann gedruckt wurde. Da steht der späteren Forschung viel Arbeit bevor. Die abschließende computerkolorierte Seite ist sehr schön geworden, und allmählich beschleicht uns das Gefühl, daß die Idee mit der schwarzweißen Vorzugsausgabe gar keine so gute war, wenn nicht vielleicht wirklich die Originalzeichnungen darin enthalten wären.
Schließlich trifft Isabelle, die Gattin von Moebius und guter Geist von Moebius Productions, ein. Sie hat die Bücher mit, ja, aber leider können sie noch nicht direkt verkauft werden, den die exklusive Vorzugsausgabe besteht aus drei Teilen: dem broschierten Band selbst, den Moebius auf der Vorderseite in einem Stempelbild signiert hat, einem beigelegten kleinen farbigen Kunstdruck von geringer Qualität und einem Schutzumschlag, dessen Rücken im Unterschied zu dem der normalen Vorzugausgabe nicht blau, sondern rot gefärbt ist. Und all das ist leider noch nicht zusammengelegt, also begeben sich zwei Assistentinnen nun an die Kartons, um den Kunstdruck ein- und die Umschläge anzulegen. Das dauert.
Die Signatur der Vorzugsausgabe, samt dem exklusiven Stempel (hüstel).
Und es kostet. Wenn auch nicht soviel, wie befürchtet. Die normale „blaue” Vorzugsausgabe schlägt mit zwanzig Euro zu Buche (bei der Reisenauflage von dreitausend Stück), die rote, signierte mit dem Doppelten (fünfhundert Stück). Fast alle Besucher kaufen jeweils ein Exemplar – für einen echten Sammler reicht der Unterschied eines blauen zu einem roten Rücken. Ich beschränke mich auf das signierte Exemplar und werde zur Empörung etlicher wartender bereits als Dritter bedient. Aber warum sollte in der Hektik darauf geachtet werden, wo die Schlange anfängt oder aufhört?
Wie ist nun der neue „Arzak”? Extrem geglückt, auch wenn er erst der Auftaktband zu einem in seinem Umfang noch unbestimmtem Zyklus darstellt. Arzak wird in den Krieg zwischen einem galaktischen Imperium und em unterjochten Volk der Werg verwickelt, wobei letztere ihr Heil in brutalen Entführungen und Überfällen suchen. Man mag gerne dabei an die Taliban denken, auch der Unwirtlichkeit der Moebiusschen Planetenlandschaften wegen. Das es eine Linienkunst zu bestaunen gibt, die Ihresgleichen nicht hat, versteht sich von selbst.
Das Schönste jedoch: Die Vorzugsausgabe gibt zwar nicht die Originalblätter wieder, sondern die vom Computer grau lavierten Seiten, aber sie enthält auch keine Sprechblasen. Die Dialoge stehen gemeinsam mit teilweise umfangreichen Prosapassagen auf den jeweils linken Seitren, rechts wird dazu auf schwarzem Fonds die gezeichnete Handlung präsentiert. Das ist neu im Werk von Moebius, und verblüffenderweise erschließt sich fast de ganze Haltung auch allein über die Bilder. Das muß man lesen. Oder besser: sehen.
Brandneu und Moebius comme il faut: eine Seite aus dem ersten Band des “Arzak”-Zyklus
Und sehen muß man auch den Blick von der Telegraphenagentur herab auf Paris. Denn weitaus prachtvoller als die Ausstellung ist die Terrasse, zu der sich die Räume im sechsten Stock öffnen. Unten liegt der Park des Einwanderungsministeriums, natürlich der Öffentlichkeit unzugänglich, aber mit Platz genug, daß dort Tausende campieren könnten. Sacre Coeur liegt bestechend scharf in der Ferne auf dem Montmartre, und das urbane Meer scheint kein Ende zu finden. Man versteht hier oben besser, wie Moebius auf seine Phantasiewelten kommt. Aufgetaucht ist er an diesem Vormittag nicht mehr. Wahrscheinlich ist er auf einem anderen Planeten zugange.
französische Comics sind...
französische Comics sind immer Weltklasse. Der Comic klingt wirklich interessant…