Jiro Taniguchi ist der angesehenste lebende Manga-Zeichner – zumindest im Westen, wo sein klarer ruhiger Stil allen denen ein Balsam ist, die in Manga eine hektische Erzählform sehen, die den Comic angeblich in längst überwundene Banalität zurückführt. Dass eine solche Generalisierung Quatsch ist, muss gar nicht eigens betont werden. Andererseits hat die Begeisterung für Taniguchi, der keinen Hehl aus seiner Vorliebe für europäische Vorbilder wie Moebius macht, auch genau den Richtigen getroffen. Denn dieser Zeichner ist ein Meister seines Fachs.
Das zeigt schon ein Blick auf den Umschlag seines neuesten Werks, den ersten Band von „Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß” (erschienen bei Carlsen). Das Meer von Kirschblüten, in das Taniguchi den Kopf seiner Protagonistin Tsukiko, einer Frau von Ende dreißig, einfasst, könnte aus einem der farbprächtigen Holzschnitte von Kawase Hasui stammen. So wie dieser Künstler in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts einen neuen westlich beeinflussten Stil in seinem Genre populär machte, ohne die eigene japanische Herkunft zu verleugnen, tut es auch Taniguchi. Und er hat mit dem Roman von Hiromi Kawakami eine Vorlage gewählt, die in Japan wie Deutschland (und etlichen anderen Staaten) ein großes Publikum fand.
Die Geschichte von Tsukiko, die auf ihren alten Japanischlehrer Harutsuna Matsumoto trifft, mit dem sie die gemeinsame Einsamkeit in den Nachtbars von Tokyo bekämpft, ist federleicht erzählt und ebenso gezeichnet. Comic wie Roman schaffen mit jeweils unterschiedlichen Mitteln ein grandioses Doppelporträt, ohne dass die subjektive Perspektive Tsukikos verlassen würde. Daraus ist eine der schönsten Literaturadaptionen geworden, die es im Comic bislang gibt. Wie soll man das Vierteljahr bis zum Erscheinen des zweiten Bandes bloß überstehen?