Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Kurz und knapp (Kuk): Ein Fehltritt bricht den schönen Kitsch

Kitsch at his best: In ihrer Serie "Das Nest" verfolgen Régis Loisel und Jean-Louis Tripp das Leben in einem abgelegenen Dorf der kanadischen Provinz Québec aus den dreißiger Jahren. im neuen, fünften Band steht dieser kleinen Gemeinschaft ihre bisher größte Prüfung bevor.

Das ist der fünfte Band einer seit 2006 laufenden französischen (oder besser: frankokanadischen) Comicserie, die man gerne unter Kitschverdacht stellen darf. Denn gerade dafür liebe ich sie. Kitsch ist etwas Herzerwärmendes, wenn er nicht mehr sein will als ebendas.

Alles ist hier wie durch den Weichzeichner vorgeführt: die malerisch gestalteten Bilder, die Jean-Louis Tripp auf der Grundlage der Vorzeichnungen seines Montrealer Atelierkollegen Régis Loisel anfertigt; die gemeinsam geschriebenen Szenarien, für die auch die französische Sprache kein Wort kennt, das besser zuträfe als die englischen Bezeichnung „whimsical”; die Kolorierung, die Francois Lapierre dem Ganzen angedeihen lässt; und schließlich die Ausstattung der Alben mit ihren Lageplänen des Handlungsortes auf den Vorsatzpapieren – da wird man endgültig in die Nostalgie der winzigen Ortschaft „Notre-Dame-des-Lacs” hineingesogen, der Heimat von etwa fünfzig Menschen tief im kanadischen Bundesstaat Québec.

Dieser Ort ist die eigentliche Hauptperson, und deshalb heißt die Serie auf Deutsch „Das Nest” (Carlsen Verlag). Im Original aber heißt sie „Magasin général”, nach dem Dorfladen, in dem sich die gesamte Bevölkerung eindeckt. Er wird geführt von Marie Ducharme, und ihr Nachname ist Programm: Das ganze Dorf war dem Zauber der jungen Witwe verfallen, doch nun im fünften Band wird sie verstoßen, nachdem sie sich mit einem noch jüngeren Mann eingelassen hat. Man ist katholisch hier, und jeder kennt jeden, also hätte Marie wissen müssen, dass Marceau mit Clara verlobt ist. Plötzlich ist die verschworene Gemeinschaft gespalten.

Das ist kein Novum in der Serie „Das Nest”, aber diesmal geht es richtig zur Sache, weil die Hauptfigur aus dem Zyklus gekegelt wird: Marie flieht nach Montreal. So heißt auch der neue Band, „Montreal”, aber die Stadt sieht man nur in Parallelschnitten zum Leben in Notre-Dame-des-Lacs, wo ohne Marie alles zusammenbricht, während sie selbst in der Metropole aufblüht (zumindest glaubt man das in Notre-Dame-des-Lacs). Der Kollaps des kleinen ländlichen Paradieses ist schmerzhaft, denn Loisel und Tripp haben uns in den bisherigen Bänden jedes winzige Detail dieses Ortes so nahe gebracht, dass wir uns mit zur Gemeinschaft zählen. Und nun muss man wieder ein Jahr warten, ehe man erfährt, ob deren Herz, Marie, aus der großen Stadt wieder zurückkehrt.

https://www.regisloisel.com/maggen1.htm