Warum schreibe ich erst heute im Blog über das Münchner Comicfestival, das schon am Sonntag zu Ende gegangen ist? Weil ich noch die Möglichkeit hatte, in den Tagen danach ein paar Leute zu treffen, deren Meinung über das Ereignis mich interessierte. An neuer Stelle, dem wunderbar zentral gelegenen Künstlerhaus ausgerichtet, bot das Festival diesmal deutlich weniger Platz als bei den beiden vorangegangenen Veranstaltungen, die jeweils im Münchener Rathaus stattfanden – das natürlich noch zentraler liegt. Daß also der Eindruck eines extrem guten Besuchs entstand, könnte auch an den beengteren Verhältnissen liegen. Aber das nicht ganz so großartige (um nicht zumindest für den Auftakt-Donnerstag zu sagen: katastrophale) Wetter hat dem Festival tatsächlich Publikum zugetrieben. Von den Veranstaltern hört man, daß sie einen neuen Besucherrekord erzielt hätten, und die Aussteller bestätigen das.
Also alles eitel Wonne? Ja, wenn man einen großen Nürnberger Comichändler hört, der schon am Freitag sehr zufrieden war. Ja auch, wenn man einen kleinen, aber wichtigen Schweizer Comicverlag als Maßstab nimmt, dessen Verleger sich überrascht zeigte, wie gut die Atmosphäre und auch der Absatz der eigenen Produkte war. Nein dagegen, wenn man einem der größten deutschen Comicverlage glauben darf, der zwar den zahlreichen Besuch durchaus positiv registrierte, aber über das von ihm so empfundene Chaos der Organisation derart entsetzt war, daß nun ernsthaft darüber nachgedacht wird, beim nächsten Mal in zwei Jahren einfach der Veranstaltung fernzubleiben.
Dabei ist es das erklärte Ziel des Münchner Ausrichtungsteams aus Michael Kompa und Heiner Lünstedt, mit ihrem Festival die Lücke zwischen dem gleichfalls nur alle zwei Jahre stattfindenden Comicsalon in Erlangen zu schließen. Deshalb ist man auch auf dessen etablierten Termin gegangen: das verlängerte Wochenende um Fronleichnam. Nun ist es eine Binsenweisheit, daß es Comicfestivals in Metropolen mit deren riesigem Kulturangebot schwerer haben als in kleineren Städten: Nicht umsonst ist das größte französische Festival in Angoulême angesiedelt, das größte Schweizer in Luzern, das größte niederländische in Harlem, das größte amerikanische in San Diego. Versuche in Berlin und Hamburg, eine Konkurrenz zu Erlangen aufzubauen, haben jeweils in finanziellen Desastern ihr Ende gefunden. Und der Erlanger Comicsalon, der immerhin seit 1984 ausgerichtet wird, besitzt mittlerweile einen Nimbus, den keine andere Stadt mehr erreichen wird. Solange die Stadtväter dort also zum Salon stehen, dürfte der Platz der Nummer eins unter den deutschen Festivals vergeben sein.
In München stand ein Informationsstand des Erlanger Comicsalons – deutliches Zeichen dafür, daß man sich mit dem bayerischen Wettbewerber im Guten arrangiert hat. Es ist ja auch nur richtig, daß man in jedem Jahr einen zentralen Treffpunkt für die Branche anbietet, und warum nicht die relative Nachbarschaft zum beiderseitigen Besten nutzen? Das Begleitprogramm in München ist noch weit von Erlanger Verhältnissen entfernt, aber die Zahl der Ausstellungen, Zeichnergespräche und Vorträge ist noch einmal gewachsen, und wenn auch die in einer BMW-Niederlassung gegenüber vom Künstlerhaus präsentierte Ausstellung zum Batmobil eine Frechheit war (ein paar Stellwände, auf denen zwar Originale, aber auch etliche bloße Reproduktionen gehängt waren, und vor allem: kein echtes Batmobil – gute Güte, wozu geht man in ein Autohaus?), so konnte man etwa bei der Übersichtsschau zum spanischen Comic einige Originale aus der „Blacksad”-Serie von Juanjo Guarnido und Juan Diaz Canales sehen. Das sind nicht nur sehr schöne, sondern auch extrem teure Seiten, denen man sonst nie begegnet.
Die Streuung der Veranstaltungsorte über die ganze Innenstadt ist in München ein größeres Problem als im übersichtlichen Erlangen. Zwei Veranstaltungen moderierte ich selbst: eine mit den Autoren des F.A.Z.-Comicstrips „Castillo”, Günther Brodhecker und Alexis Martinez, im Instituto Cervantes, eine weitere mit dem Comiczeichner James Sturm im Amerikahaus. Die erste war schlecht besucht, die zweite nicht so gut, wie man angesichts der Bedeutung Sturms hätte erwarten dürfen. An der Ankündigung und Bewerbung ihrer Satellitenveranstaltungen muß die Organisation auf jeden Fall noch arbeiten.
Das letzte Bild hat es in sich, aber das merkt man erst am Schluß: Dani Monteros “Kein Blick zurück”.
Dafür war das Instituto Cervantes generell hocherfreut über die Zusammenarbeit mit dem Festival. Im Treppenhaus war dort sogar eine Ausstellung des spanischen Comicdebütanten Dani Montero zu sehen, den Kompa und Lührstedt für den deutschen Markt entdeckt haben. Pünktlich zu ihrem Münchner Comicfestival ist jetzt bei der rührigen Wuppertaler Edition 52 „Kein Blick zurück” erschienen, und dieser Comic hat zwar nicht gerade die innovativste Graphik zu bieten, aber er nimmt zum Schluß der Geschichte eine Wendung, die alles Vorherige in neues Licht setzt und den extrem sparsamen Einsatz der roten Zusatzfarbe (auf nicht einmal zwanzig Einzelbildern) erst richtig grandios macht. So intelligent wie der 1977 geborene Montero arbeiten nur wenige Comiczeichner.
Montero experimentiert in seinem Comic auch mit Seitenarchitekturen, die übers Alltägliche hinausgehen.
Was in München großartig funktioniert hat, waren die Zeichenkurse für Kinder auf dem Innenhof des Künstlerhauses. Als zum Beispiel Ulrich Schröder, der in Paris lebende deutsche Disney-Meisterzeichner, am späten Freitagvormittag dort vorführte, wie man Figuren gestaltet, waren alle Plätze unter dem großen Zeltdach besetzt. Sein schnell zugerufener Hinweis, man könne nahebei den Kollegen Jan Gulbransson treffen, war reizend, aber im Strom der Besucher war dieser weitere deutsche Disneyzeichner nirgends zu finden. Nun, das ist kein schlechtes Zeichen. Was dagegen überdacht werden sollte, wenn das Künstlerhaus Heimat des Festivals bleibt, ist die Plazierung der unabhängigen vulgo Kleinverlage unter dem Dach in einem dritten Stock, zu dem man so endlos emporzusteigen meint, als ginge es auf einen Kathedralenturm. Nicht, daß die Atmosphäre dort oben unangenehm gewesen wäre, aber gerade solche Anbieter machen Entdeckungen möglich, und deshalb sollte man dem Publikum ermöglichen, sie auch zu finden. Von einigen solcher Entdeckungen aus München demnächst mehr an dieser Stelle.