Jetzt ist es geschafft! Wenn sich schon bekannte Philosophen dafür begeistern, Vorlagen für Comics zu schreiben, ist die Schlacht um die Anerkennung gewonnen. Michel Onfray, Jahrgang 1959, hat sich in den letzten zwanzig Jahren systematisch als einer der populärsten französischen Denker profiliert, ohne dabei tiefere intellektuelle Gefilde anzusteuern, als es etwa auch Richard David Precht in Deutschland tun musste. Über Süßwein hat Onfray zum Beispiel philosophiert, aber auch über Widerstand oder die Psychoanalyse, und in den letzten Jahren ist er auf Nietzsche gekommen.
Über diesen deutschen Vordenker hat Onfray nun auch sein erstes Comic-Szenario geschrieben, aus dem der junge (1985 geborene) Maximilien Le Roy eine gezeichnete Nietzsche-Biographie gemacht hat. Auf den ersten Blick gleicht Le Roys Stil dem von Stéphane Heuet, der seit mittlerweile zwölf Jahren an der Comic-Adaption von Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit” arbeitet, aber der zweite Blick entlarvt diesen Eindruck vor allem als Zeitphänomen: Das späte neunzehnte Jahrhundert sieht eben recht typisch und somit leicht verwechselbar aus.
Leitfaden ist – wie könnte es anders sein? – die Tragik Nietzsches. Kein Wunder bei einem Autor wie Onfray, dessen Nietzsche-Studie von 2006 den Titel „La sagesse tragique” (Die tragische Weisheit) trägt. Onfray lässt seinen Protagonisten durch die Hölle gehen, an die der aber gar nicht glaubte. Erst stirbt Nietsches Vater, dann der kleine Bruder, dann entwickelt sich die Schwester zur Antisemitin, und mit der Liebe klappt es auch nicht recht. Wir müssen uns Nietzsche als einen unglücklichen Mann vorstellen.
Entsprechend düster hat Le Roy seine Bilder angelegt, und immerhin ist er zu Recherchezwecken Nietzsches Lebensweg entlang gereist. Warum dann allerdings Leipzig erst 1887 auftaucht, als man dort eines von Nietzsches Manuskripten ablehnte, und nicht schon 1865, als er dort sein Studium fortsetzte und sich als Philologe etablierte, weiß der Himmel. Zumal der Besuch von Le Roy in Leipzig nicht dafür gereicht hat zu recherchieren, dass das prominent ins Bild gesetzte Neue Rathaus erst nach 1900 gebaut wurde. Na ja, Kleinigkeiten. Etwas schwerer wiegt da schon, dass wohl weder Onfray noch Le Roy wissen, dass Nietzsche nur kurz, nämlich ein paar Monate 1864/65, in Bonn studiert hat. Aber über einer Rheinansicht, die die Comic-Abschnitte zum Studium einleitet, steht groß: „Bonn 1868″. Da war Nietzsche längst in Leipzig.
Schade vor allem, dass niemand im deutschen Knaus Verlag das gemerkt hat. Es ist typisch: Auf Comics wird nicht dieselbe Lektoratssorgfalt verwendet wie auf normale Bücher. Welcher geschriebenen Nietzsche-Biographie wäre solch ein Lapsus durchgegangen? Aber es ist ja der erste Comic, den Knaus verlegt, und man hätte dort durchaus auch mit gewöhnlicherem Stoff beginnen können. Warten wir also mal ab, ob der inhaltlich hohe Anspruch sich auch einmal auf die Betreuung der entsprechenden Titel auswirken wird.
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