Einer der zahlreichen phantastischen Comics von Jacques Tardi (und unter diesen gewiss der phantastischste im Sinne von Fantasy) ist schon mehr als dreißig Jahre alt und heißt „Hier Selbst”. Das ist der Name seines Protagonisten, und deshalb wird es mir niemand übelnehmen, dass ich einen Comic, der „Ganz Allein” betitelt ist und so auch seinen Helden nennt, nur mäßig originell finde. Dass dieser Comic, den der französische Zeichner Christophe Chabouté herausgebracht hat, dann auch schwarzweiß und extrem umfangreich (370 Seiten!) geriet, dass die Hauptperson wie bei Tardi ein isoliert lebender Sonderling ist und an dessen Beispiel grundlegende Fragen von Individualität und Gesellschaft verhandelt werden – auch das ist alles sicher kein Zufall. Chabouté war zwar erst elf Jahre alt, als der dezidierte Erwachsenencomic „Hier Selbst” erschien, aber in Frankreich ist der Band so berühmt, dass die Unschuldsvermutung nicht greift.
Ist „Ganz Allein” dann wenigstens eine Hommage? Nein, denn mit der Komplexität der von Jean-Claude Forest geschriebenen Geschichte von „Hier Selbst” hat Chaboutés Buch ebenso wenig zu tun wie mit Tardis atemraubender Grafik, die damals ihren Höhepunkt erreichte. „Ganz Allein” ist ein solides Stück französischen Comic-Mainstreams – nicht mehr, aber immerhin auch nicht weniger. Es gibt lange Passagen, in denen kein Wort fällt, in denen nur Stimmungen erzeugt werden: vom bewegten Meer, aus dem sich auf einer kleinen Felsinsel ein Leuchtturm erhebt. Es gibt allegorische Passagen, deren Sinn sich erst mit fortschreitender Lektüre erschließt. Und es gibt zwei Fischer, deren Verhältnis zueinander zu den schönsten erzählerischen Hoffnungen Anlass gibt, ehe sich leider die ganze Aufmerksamkeit dem dritten Protagonisten zuwendet, ebenjenem Ganz Allein.
Verriete man jetzt etwas über ihn, wäre die Spannung perdü. Nur so viel: Er lebt im Leuchtturm, und die Leute munkeln, es handele sich bei ihm um ein Monstrum. Aber schon der elegische Erzählstil lässt anderes vermuten, und es entfaltet sich eine Geschichte, die einen modernen Kaspar Hauser vorstellt.
Das ist klug in Bilder gesetzt, auch nicht hässlich anzusehen, aber was den Carlsen Verlag dazu bewogen hat, einen Band, der in Frankreich auch nicht gerade gefeiert worden ist, übersetzen zu lassen und für sage und schreibe 30 Euro anzubieten, das ist ein Rätsel. Hätte doch mal lieber jemand den vergriffenen „Hier Selbst” nachgedruckt.