Sieben Jahre! So lange hat Craig Thompson an „Habibi” gearbeitet. Und eigentlich noch länger. Denn seine letzte Comicpublikation, das Reisetagebuch „Carnet de Voyage” von 2004, erzählte bereits von den Recherchen für „Habibi”, die den amerikanischen Zeichner nach Marokko geführt hatten. Nun ist der lang ersehnte Band endlich da. Er übertrifft die Erwartungen, und in mancher Hinsicht enttäuscht er sie auch.
Zunächst einmal ist „Habibi” noch umfangreicher geworden als „Blankets”, jener autobiographisch grundierte Comic von 2003, dem der 1975 geborene Thomson seinen Ruhm verdankt. „Blankets” war 580 Seiten dick und damit der umfangreichste einzelne Comic, den ich je aus Amerika gesehen hatte. Dieser Rekord ist nun pulverisiert: „Habibi” hat 670 Seiten. Dachte man also, dass Thompson in „Blankets” um sein Leben und deshalb so ausufernd erzählt hatte, so wird man nun eines Besseren belehrt: Diesmal erzählt er um die Liebe, und das setzt anscheinend noch ganz andere Kräfte frei. Auf den Seiten von „Habibi” zündet Thompson ein Feuerwerk an graphischen Tricks: Er wagt Panel-Arrangements, die mit allem brechen, was man sich vorstellen kann, bisweilen gar mit der Geschichte selbst. Das führt sowohl zu meisterhaften Seitenarchitekturen wie zu extrem brüchigen, bei denen man glaubt, der Comic stürze gleich in sich zusammen.
Auf den ersten Blick aber ist klar: Thompson erzählt seine Geschichte aus dem Orient auf orientalische Weise. Das zeigen die Schmuckornamente, die immer wieder einzelne Bilder oder ganze Seiten umgeben. Sie haben ihre Vorbilder in dem, was Thompson 2004 in Marokko gesehen hat, und in Büchern über Kalligraphie, die der Zeichner weidlich ausgeschlachtet hat. Immer wieder werden authentische arabische Texte in die Erzählung integriert, aber nicht als Dialoge oder Beschreibungen, sondern als Stimmungsphänomene: Figuren setzten sich aus Textzeilen zusammen, Regen fällt in Form von Wörtern, aus Schriftzeichen entwickeln sich Gegenstände. Das ist nicht nur einfalls-, es ist auch lehrreich – Thompson zeigt uns, wie Schrift und Bild zur Einheit werden, oder anders gesprochen: Er zeigt, was den Comic ausmacht. Und das aus einer Kultur heraus, über die der Koran ein Bilderverbot verhängt hat.
Den Propheten Mohammed, der in „Habibi” als Gegenstand von Erzählungen auftaucht, zeichnet Thompson deshalb nach dem Vorbild persischer Miniaturen mit verschleiertem Gesicht. Das ist ein Ausweis von Respekt, und die ganze Geschichte von „Habibi”, die sich um die Liebe zweier Sklaven dreht, der schönen Dodola und des neun Jahre jüngeren Zam, die als Kinder gemeinsam der Sklaverei entfliehen, ist ein Loblied auf die harmonische Zweisamkeit nicht nur dieses Paares, sondern auch der großen Religionen Islam, Judentum und Christentum. Die gemeinsamen Traditionsstränge werden von Dodola, die dem kleinen Zam im Stile von „1001 Nacht” Geschichten erzählt, heraufbeschworen – aber nicht belehrend, sondern eben erzählend. Auch dies ist eine Hommage an die Kultur des Orients.
Aber Thompson erzählt in Klischees. Denn sein Orient ist zwar zeitlich unbestimmt. Es beginnt wie im Mittelalter auf Basaren und in Schreibstuben und führt dann in eine Welt unserer Gegenwart, die Slums und boomende Großstädte kennt, während über all das ein Fürst herrscht, der einen Harem unterhält, gegen den sich selbst „Die Entführung aus dem Serail” als zeitgemäße Dokumentation darstellte. Das Reich des finsteren und natürlich sexbesessenen Fürsten heißt Wanatolien, und in der Verbindung von Anatolien und Wandalen zeigt sich der von Thompson zweifellos unbeabsichtigte Grundzug seines Comics: Er malt sich ein Orientbild, das alle Erwartungen eines westlichen Publikums an Exotik wie auch Rückständigkeit erfüllt.
Edward Said hat solche Verfahren als „Orientalismus” angeprangert. Schade, dass der Literaturwissenschaftler tot ist, denn in Thompsons „Habibi” hätte er die Krönung dieses herablassenden Blicks, der sich gern als Liebe zum Orient missversteht, gefunden. Thompson hat gewiss nichts anderes im Sinn, als zu versöhnen. Das war auch schon in „Blankets” so, wo er seine eigenen Erfahrungen als Sohn einer christlich-fundamentalistischen Familie verarbeitete und sich selbst in die Freiheit zeichnete. Die Religion hat ihn aber nicht losgelassen, und der Predigerton, den die dramatische Liebesgeschichte von Dodola und Zam aufweist, ist unüberhörbar. „Habibi” ist ein großes Werk, was den formalen Anspruch betrifft. Inhaltlich ist es gescheitert.