Zuerst mal diese Warnung: Wer nicht gern Dialoge liest, in denen kräftig berlinert wird, der möge „Ein Häring unter Haien” gar nicht erst zur Hand nehmen. Dann die nächste Warnung: Wenn Sie die Anmutung vergilbten Papiers verabscheuen, lassen Sie gleichfalls die Finger von diesem auf gelbgrauen Seiten gedruckten Buch. Und schließlich letzte Warnung für all die anderen: Das Werk ist nicht leicht zu bekommen, denn der Band des Zeichners Michael Schröter ist im Kleinverlag Elch Graphics erschienen, von dem ich noch nie gehört habe. Seine Vertriebsstruktur ist jedenfalls nicht gigantisch, deshalb bestellt man den Band wohl am besten auf der Seite https://berlincomics.de/. Da werden Sie auch anberlinert, aber das macht Ihnen ja nichts aus. Für 14,90 Euro bekommen sie dann einen Comic, der einiges zu bieten hat.
Zunächst mal eine Krimihandlung, die zwar nur Vorwand ist, um uns als Leser tief ins Kleinbürger- und Proletariermilieu der Goldenen Zwanziger (die hier reichlich katzengoldig wirken) zu führen, aber dennoch spannend ist. Wobei Schröter bisweilen sein Hauptgeschehen aus dem Blick verliert, wenn er den Privatdetektiv Mäcke Häring augiebig durch Nachtbars und Jazzschuppen streunen lässt. Da spürt man die Liebe des Zeichners zu dieser Musik und zum Halbseidenen, und diese Liebe macht ihn blind fürs Erzählökonomische. Aber irgendwann merkt der Leser, dass just in dieser Milieuschilderung der Reiz des Comics liegt. Und von da an ist alles gut, und man findet auch alles gut.
Vorbild für die Geschichte um den privat wie beruflich gescheiterten und wenig gescheiten Mäcke Häring sind Leo Malets Romae mit dem Pariser Detektiv Nestor Burma. Die hat Jacques Tardi als Comic gezeichnet, und da hat sich Schröter manches abgeschaut. Die Neugierden auf Subkulturen, politisches Geschehen und frühere Zeiten treffen auch bei ihm produktiv aufeinander, und auch er arbeitet nur in Schwarzweiß – auf dem schon genannten gelbgetönten und quadratischen Papier, was die Stimmung aber jeweils schön unterstützt. Die Zeichnungen sind noch etwas ungelenk, aber Perspektiven und Bildverschachtelungen zeigen eine erfreuliche Experimentierlust, die man in Deutschland nicht so häufig trifft. Und mit den selbstbespiegelnden Comics, die zurzeit als Graphic Novels überall Furore machen sollen, hat das Ganze kaum etwas zu tun. Hier soll saftig erzählt werden. So wie Zille gezeichnet hat
Deshalb gibt es reizvolle Frauen en masse und kräftige Herren, die mal zu SA-Trupps versammelt auftreten, mal in Kneipenhinterzimmern als Mitglieder in Ringervereinen schwitzen. Letztere sind seltener Thema in Comics als die Nazi-Schergen, die auch in Jason Lutes großen „Berlin”-Zyklus, der in derselben Zeit angesiedelt ist wie „Ein Häring unter Haien”, ihre regelmäßigen Auftritte haben. Da ist Schröter also origineller, obwohl man sich am Schluss doch noch mehr Einblicke in die Hinterzimmer gewünscht hätte als den dann doch wieder massiv ausgeschlachteten Topos der braunen Schläger.
Aber wie herrlich naiv und im besten Sinne unschuldig Häring es mit allen Seiten hält und dadurch die Handlung zu einem guten Ende führt, von dem jeder historisch interessierte Leser weiß, dass es nicht so gut weitergehen wird., das ist sehr geschickt erzählt. Und mit dem bärbeißigen Franz Kain, der wohl nicht zufällig denselben Vornamen trägt wie Döblins Biberkopf aus „Berlin Alexanderplatz” (und den Nachnamen gewiss noch weniger zufällig) hat Schröter auch eine markante Figur zu bieten, die seine Tuschetechnik mit den dicken Linien und kräftigen Lavierungen aufs Beste zur Geltung bringt. Ein guter Genrecomic über Berlin, gezeichnet von einem Berliner – darauf hat man auch lange warten müssen.