Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Ein Jahr lang reines Inferno

Die Hölle lässt sich gut bebildern: Michael Meier hat für die „Frankfurter Rundschau" den ersten Teil von Dantes „Göttlicher Komödie" als Comic-Strip gezeichnet. Und da sieht das Unterweltgeschehen plötzlich viel vertrauter aus, als man gedacht hätte.

Falls Sie sich wundern sollten, warum dieser Blog-Eintrag morgens um 2 Uhr ins Netz kommt – ich sitze vor dem Fernseher und warte auf den Beginn der Oscar-Verleihung. Wieder mal bin ich aufs Programmschema, wie ich es den Fernsehprogrammen entnehmen konnte, hereingefallen und muss mir jetzt das blöde Defilee der Stars über den Roten Teppich ansehen. Da kann man auch etwas Vernünftigeres tun. Zum Beispiel über einen guten Comic schreiben. So bekommt man die letzte halbe Stunde Wartezeit am besten herum.

Der gute Comic heißt “Inferno”. Bei diesem Titel könnte man vermuten, dass es zumindest nicht ganz so gut darin zugeht. Wir ennen ja unseren Dante. Oder doch nicht? Denn als am Ende der zweiten Seite des „Inferno” der erste Altbekannte auftritt, ist es Silvio Berlusconi. Und der wird noch zweimal wiederkommen. Aber als Guten wird ihn wohl kaum jemand bezeichnen. Wobei bei seien drei Auftritten (Comic-Oscar als bester Nebendarsteller in einer Literaturadaption!) vom Inferno strenggenommen noch gar keine Rede ist. Wir befinden uns erst im Anmarsch darauf, und Berlusconi hat eher einen dauergrinsenden bösen Überraschungsgast im dunklen Wald zu spielen als einen Verdammten. Oder einen Quälgeist, um auch die zweite Großgruppe zu nennen, die sich in den neun Kreisen der Hölle tummelt, wie Dante sie uns vorgestellt hat.

Ach ja, Dante. Den würde man wohl auch als Altbekannten bezeichnen. Aber so, wie Michael Meier ihn darstellt, als blondhaarigen jungen Vollbartträger in schwarzer Jeans und weißem Tanktop, finden wir den Herrn gar nicht mehr vertraut. Kein Lorbeerkranz, kein kantiges Profil, keine rote Tunika – das Dante-Klischeebild ist weg. Nur einmal, ganz zu Anfang seines Comics „Das Inferno”, zeichnet Meier den alten Dante einmal so, wie wir ihn alle kennen. Doch dem großen Dichter gegenüber steht noch ein bisschen markanter und vor allem strenger blickend der Zeichner: Michael Meier selbst. Es spricht für ein gesundes Ego, wenn man sich gegenüber einer Legende so souverän zu präsentieren wagt.

Nun hat Meier alle Ursache dazu. Auch er hat, wie schon das in der letzten Woche empfohlene Comic-Duo Felix Mertikat und Benjamin Schreuder, den Sondermann-Preis für den besten Nachwuchskünstler gewonnen, 2009, mit seiner Oskar-Panizza-Adaption „Die Menschenfabrik”. Die Umsetzung eines berühmten literarischen Textes war damals noch nicht so gängig wie heute, wo man sich bald fragen muss, welche Romane oder Erzählungen noch nicht zur Comicvorlage umfunktioniert wurden. Aber ungeachtet dessen ist „Die Menschenfabrik” weiterhin einer der besten Versuche dieser Art. Und was Meier wirklich kann, das zeigt er jetzt mit seinem Inferno.

Ja, „seinem” Inferno, denn auch wenn er Dante genau folgt im Ablauf des Geschehens und bei den meisten Figuren (nur einen Berlusconi, den hat sich Dante nicht träumen lassen; einen Hitler zum Beispiel auch nicht), hat Meier den ersten Teil der „Göttlichen Komödie” zu seinem eigenen Stoff gemacht. Er folgte der alten Illustrationstradition, sich auf den ersten Teil zu beschränken, weil Dante in „Purgatorium” und „Paradies” eher Ideen denn Bilder aufs Papier gebracht hat. Dagegen ist die Schilderung der Hölle wunderbar illustrativ, und das hat seit der Entstehungszeit des Buchs vor sieben Jahrhunderten die Künstler zuverlässig angelockt.

So eben auch Michael Meier, der das „Inferno” als täglichen Comic-Strip für die „Frankfurter Rundschau” gezeichnet hat, vom 2. August 2010 bis zum 30. Juli 2011, fast genau ein Jahr lang also. Tag für Tag wurde eine der meist aus drei oder vier Bildern bestehenden Folgen gedruckt, und drei davon ergeben nun jeweils zusammenmontiert eine Seite im Buch. Jede Reihe, die früher ja einmal einer Tagesfolge entsprach, bietet naturgemäß eine Pointe am Ende. So bekommt der Weg ins Innerste der Verdammnis einen ziemlichen Zug. Kaum zu glauben, wie gut das geht.

Vergil, der Cicerone des imaginären Dante aus dem „Inferno”, wird von Meier als Schakal gezeichnet, und aus dieser klassischen Kombination von Mensch und treuem Begleiter zieht der Comic einigen Humor. Zugleich aber schreckt Meier nicht vor der Darstellung höchst unerfreulicher Martern zurück, die schon in Dantes Buch so drastisch ausfallen, dass Arno Schmidt sich mit Grausen abwandte. Man darf nicht viel Nachsicht erwarten – nicht von der Hölle und nicht von Michael Meier, der Dantes trichterförmige Folterindustrieanlage als das präsentiert, was sie ist: eine Strafkolonie, gegen die Kafkas Äquivalent als Erholungspark gelten darf.

Stripbedingt gibt es keine großen Bilder in dieser Adaption (die einzige Ausnahme, ein Höllenpanorama, dürfte ein Erfordernis des Seitenumbruchs gewesen sein). Aber gerade das macht nichts, weil so der Fokus auf Bitterkeit (Dante) und Ironie (Meier) der Handlung liegt. Und so gewinnt diese stilistische wie inhaltliche Modernisierung des „Infernos” dem Thema vieles ab, was unseren Blick schärft, auch für den alten Text. Und sie erweist Meier als einen der besten Erzähler im deutschen Comicgeschehen – selbst, wenn er nacherzählt, erzählt er weiter. 

(Und bei mir geht es jetzt nicht mehr weiter. Denn in Los Angeles geht es gleich los. Und man kann sich ja auch nicht den ganzen Tag nur für Comics interessieren.)