Die Ausstellung „Dig, Dag Digedag – DDR-Comic ‚Mosaik'” im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig habe ich in der F.A.Z. schon gerühmt. Nun entwickelt sie sich auch zum Publikumserfolg. Überraschend ist das nicht, denn überhaupt zum ersten Mal wird hier ein größeres Konvolut an Originalzeichnungen aus dem Atelier von Hannes Hegen (der mit bürgerlichem Namen Johannes Hegenbarth heißt) gezeigt. Da er als Figurenerfinder die Rechte an den 1955 gestarteten Comics um die Digedags besaß und sie während deren zwanzigjähriger Laufzeit in der Comiczeitschrift „Mosaik” auch nie abgab, konnte er alle Originalzeichnungen behalten, die das von ihm beschäftigte „Mosaik-Kollektiv” herstellte. Das war eine kleine Oase der Privatwirtschaft im Planwirtschaftsland DDR. Und das macht das „Mosaik” und seine publizistische Geschichte so interessant.
Diesbezüglich leistet die Leipziger Ausstellung Erfreuliches. Sie stellt den Zeitkontext her, dokumentiert die Streitigkeiten zwischen Hegen und den staatlichen Verlagen sowie die vielen Versuche, seinem Comic den Todesstoß zu versetzen. Letztere Bemühungen waren eher Sache von Pädagogen als von Politikern, aber das unterschied sich nicht im Geringsten von der Situation, die zur gleichen Zeit in Westdeutschland herrschte.
Gerade dieses Faktum arbeitet die Ausstellung gut heraus, indem sie die polemische Kritik an Comics als Erzählform nicht nur für die DDR, sondern auch für die Bundesrepublik belegt. Comics wurden in den fünfziger Jahren in beiden deutschen Staaten öffentlich ins Feuer geworfen, als hätte es nicht zwei Jahrzehnte zuvor die Bücherverbrennungen der Nazis gegeben. Man sollte also meinen, dass die „Mosaik”-Ausstellung für ein weitaus größeres Publikum als nur das Leipziger geeignet wäre – zumal angesichts des gegenwärtigen Besucherandrangs, die Menschen aus viel weiterem Umkreis als Sachsen allein ins Zeitgeschichtliche Forum zieht. Doch was noch auf der Pressekonferenz zur Eröffnung mitgeteilt wurde, nämlich dass die Schau nach ihrem Ende im Mai in kleinerer Form auf Wanderschaft gehen solle, scheint nicht zuzutreffen. Eine weitere Station ist zwar für Berlin, also an Hegens Wohnort, geplant, danach aber derzeit nichts weiter. Dabei hatte Hans Walter Hütter, der Präsident des Bonner Hauses der Geschichte, auf der Pressekonferenz zur Eröffnung der Leipziger Ausstellung noch seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, dass man durch eine solche Wanderausstellung nun endlich auch in Westdeutschland den Reiz des Werks von Hannes Hegens erkennen werde.
Ein zutreffender Wunsch, denn was da in der DDR gezeichnet wurde (natürlich nicht von Hegen allein, sondern vor allem von seinen Kollektivmitarbeitern; aber Hegen war wie Walt Disney der unentbehrliche Organisator dieser gemeinsamen Arbeit), das ist allemal besser als das, was gleichzeitig in der Bundesrepublik an Comics entstanden war. Und diesen Schatz hat das Zeitgeschichtliche Forum vor drei Jahren von Hannes Hegen geschenkt bekommen, als er seinen ganzen Vorlass übereignete. Hegen hatte 2007 eine „Mosaik”-Austellung im Zeitgeschichtlichen Forum besucht, die gar nicht vom Haus selbst, erarbeitet worden war, sondern ursprünglich für die Francke’schen Stiftungen in Halle, und zwar von den Privatleuten Moritz Götze und Peter Lang. Aber Hegen war von den Räumlichkeiten des Zeitgenössischen Forums mitten in Leipzig begeistert und sah hier die Chance, sein Lebenswerk komplett zu erhalten. Die Fans des „Mosaik” hatten immer befürchtet, dass diese Originalzeichnungen und Dokumente irgendwann in alle Winde zerstreut werden könnten, denn Hegen ist Jahrgang 1925 und gesundheitlich schon lange angeschlagen. Aber nun war alles gut.
Aber das hing am seidenen Faden, denn das Zeitgenössische Forum hätte das Geschenk beinahe ausschlagen müssen. Die Leipziger Institution ist eine Tochter des Hauses der Geschichte in Bonn, und tief im Westen kannte man weder das „Mosaik” noch wusste man dessen Bedeutung einzuschätzen. In der Bonner Zentrale interessierte man sich also nicht für diese einmalige Kollektion, die nicht nur für die Comic-, sondern auch für die deutsche Geschichte immens wichtig ist. Man sah nur die konservatorische Herausforderung, Abertausende von Zeichnungen und sonstigen Objekten aufzubewahren, und hätte es nicht den vehementen Einsatz der ostdeutschen Mitarbeiter in Leipzig gegeben, wäre der Coup geplatzt.
Gleiches drohte offenbar nun wieder bei der Ausstellung. Eine winzige Auswahl aus dem unerschöpflichen Konvolut an Originalen war schon kurz nach der Übergabe in Leipzig gezeigt worden, doch für die überfällige große Schau, die jetzt zu sehen ist und überhaupt erst klar macht, was für einen Schatz man da geschenkt bekam, wurde dem Vernehmen nach nur widerwillig Geld bewilligt. Im Gegensatz zu manch anderer Leipziger Ausstellung ist „Dig, Dag und Digedag” nicht für eine Präsentation im Bonner Haus der Geschichte vorgesehen, der sonst übliche Katalog fiel aus, und die Idee der Wanderausstellung besteht derzeit bestenfalls auf dem Papier. Die westdeutsche Arroganz, die sich darin zeigt, ist beschämend – zumal angesichts der ästhetischen Qualität der Objekte. Aber es waren ja bei der Vorbereitung der Schau auch keine Comic-Kenner beteiligt, woher sollten die Kuratoren also wissen, dass das, was sie da zeigen, nicht nur spannende Zeitzeugnisse sind, sondern höchste Comic-Kunst ist.
Immerhin ein Versäumnis der hohen Herren in Bonn wird vom Leipziger Lehmstedt-Verlag kompensiert. Der Ein-Mann-Betrieb von Mark Lehmstedt hat vor ein paar Jahren bereits eine vom Verleger selbst verfasste Geschichte von Hannes Hegens „Mosaik” publiziert, die man getrost als Standardwerk zum Thema preisen kann. Nun haben Reiner Grünberg und Michael Hebestreit ein „Mosaik-Handbuch” erstellt, das pünktlich zum Beginn der Ausstellung in Leipzig herausgekommen ist: 319 Seiten pralle Information und viele durchweg farbig reproduzierte Abbildungen.
Was unterscheidet das Handbuch von dem früheren Werk? Es besteht zum größten Teil aus einer akribischen Auflistung sämtlicher 229 „Mosaik”-Ausgaben, in denen sich Geschichten mit den Digedags fanden, ehe sie 1976 von den Abrafaxen abgelöst wurden, nachdem man Hegen ausgebootet hatte. Für Sammler ist diese gigantische Faktensammlung, die alle Varianten, die Übersetzungen in andere Sprachen, Neuveröffentlichungen und Sammelbände zusammenträgt, ein Segen, doch es gibt auch noch einen mehr als achtzigseitigen „Materialien”-Teil, in dem die wichtigsten Fakten zur Geschichte des Heftes erzählt werden. Dafür hat Mark Lehmstedt natürlich die Fundgrube seines eigenen Buchs benutzt, aber durch die überreiche Bebilderung, unter der sich etliches findet, was nie zuvor publiziert worden ist, bekommt das Handbuch einen zusätzlichen Reiz, der es auch für jeden allgemein am „Mosaik” Interessierten zum Genuss macht.
24,95 Euro kostet der Prachtband, und das ist kein Cent zuviel für das, was darin geboten wird. So können auch Wessis sehen, was sie verpassen, wenn die Leipziger Ausstellung tatsächlich nicht durchs ganze Bundesgebiet reisen sollte (oder die Wessis nicht nach Leipzig kommen). Doch eigentlich gehört die Digedag-Schau in die ganze Welt verschickt, damit man sieht, dass Deutschland doch mehr Comicgeschichte zu bieten hat, als allgemein bekannt ist.
Ich bin Westdeutscher und...
Ich bin Westdeutscher und daher geradezu zwangsläufig mehr mit Donald Duck & Asterix als mit den Digedags vertraut, habe mich aber nachträglich ebenfalls von deren Bedeutung überzeugen lassen. Die koloniale Konstruktion des ZZF/HdG, die ja auch schon in anderen Zusammenhängen sicht- und spürbar wurde, ist sehr bedauerlich und wird wohl erst überwunden werden, wenn der erste Leipziger in Bonn die Feder führen wird. Um so schöner, dass wenigstens diese Schau gelungen ist und sich auch noch jemand findet, der an bedeutender Stelle sich dazu äußert – zu den Comics wie zu den Museen.
<p>Vielen Dank, Herr...
Vielen Dank, Herr Platthaus, für die wertvollen Hintergrundinformationen. Kurios ist ja, daß ich, obwohl Leipziger, erst aus Ihrem Print-Artikel erfahren hatte, daß es die Ausstellung gibt. Ich habe die Ausstellung mittlerweile gesehen und kann Ihr positives Urteil nur bestätigen. Die Kontextualisierung ist wirklich gelungen und sehr informativ. Hegens Zeichnungen sind in der Tat von höchster Qualität. Mittlerweile muten mich die Texte ziemlich naiv an, aber als Kind habe ich das „Mosaik“ heißinnig geliebt. Ich war in der glücklichen Situation, ein Abonnement zu haben und war von Heft 145 bis zum Ende dabei. Ich habe die Hefte heute noch und werde sie auch niemals hergeben. Ich kann Ihnen nur zustimmen, daß Hegens Werk einer breiten Öffentlichkeit gezeigt werden müßte. Vielleicht kann sich der Verlag auch mal zu einem preisgünstigen Sammelband der Nachdrucke durchringen. Momentan sind sie ja fast prohibitiv teuer. Für die Ritter-Runkel-Serie muß man schon 10 Bände kaufen.