Sechs Jahre ist es her, dass im amerikanischen Comic-Handel ein quadratisches Heft auftauchte, das einen allerliebsten Umschlag mit niedlichen Mäusen aufwies, im Inneren aber von einem archaisch-martialischen Dasein erzählte. „Mouse Guard” hieß das Heft, und es führte die Leser in den Herbst des Jahres 1152, wo eine Gruppe der titelgebenden Wächter die „Maus-Territorien” verteidigt. Das ist ein durch einen wenige Jahre zuvor beendeten Winterkrieg verwüstetes Gebiet, in dem es eine Zivilisation gibt, die menschenähnliche Kultur hervorgebracht hat, die eben von Mäusen entwickelt wurde. Man könnte auch sagen: Schlümpfen mit Fell und spitzen Ohren. Und natürlich nicht blau.
Wobei es unwahrscheinlich ist, dass der 1977 geborene David Petersen, dem wir „Mouse Guard” verdanken, an das Vorbild von Peyos Schlümpfen auch nur einen Gedanken verschwendet hat. Denn die amerikanische Serie ist trotz ihrer possierlichen Helden vor allem brutal, dunkel und kalt – wie das Mittelalter eben, in dem sie spielt. Oder der Herbst, der dem ersten Zyklus aus sechs Heften seinen Namen gab: „Fall 1152″.
Die Serie schlug ein wie eine Bombe. Verkaufszahlen, Auszeichnungen – alles triumphal. Dass die „Herr der Ringe”-Verfilmungen wenige Jahre zuvor das Fantasy-Genre wieder hatten aufblühen lassen, dürfte dabei nicht geschadet haben. Petersen erzählt im selben Ton wie Tolkien, allerdings auf der Mikroebene – aus Mäusesicht. Und die Gefahren sind auch nicht phantastisch, sondern realistisch: Schlangen, Eulen, Unwetter, Nahrungsmangel. Aber dazu stets die winzigen Knopfaugen und die disney-mäßige Verschiebung der Körperproportionen zugunsten eines größeren Kopfes. Diesem Charme konnte man sich schwer entziehen.
Ein Jahr später folgte auf den Herbst-Zyklus schon der Winter 1152/53: wieder sechs Hefte. Doch seit diese Reihe im August 2008 abgeschlossen war, steckte Petersen bei seinem Arbeitstempo zurück. 2010 erschien immerhin noch als Einzelheft „Spring 1153″, die Chronologie geht also weiter, aber es ist bezeichnend, dass der Sommer nicht zu kommen scheint. Diese Jahreszeit wäre für die Stimmung von „Mouse Guard” zu freundlich.
Derzeit läuft, allerdings mit einiger Verzögerung, ein neuer Zyklus namens „Black Axe”. Doch wem das Warten darauf zu lang wird, kann sich mit einem Band trösten, der schon vor zwei Jahren in Amerika, jetzt aber erst auf Deutsch erscheint: „Legenden der Wächter”. Darin erzählen zahlreiche Comicautoren und -zeichner kurze Episoden mit den „Mouse Guard”-Helden (eine könnte sogar im Sommer spielen), alle natürlich im eigenen Stil und außerhalb von Petersens Chronologie der Reihe, obwohl es sich um dieselben Figuren handelt.
Solche Hommagen sind immer interessant, weil sie besser als die meisten Analysen Stärken und Schwächen eines Comic-Konzepts zeigen. „Legenden der Wächter” unterstreicht, dass „Mouse Guard” wirklich zu den gelungenen Serien zählt, denn der Zauber der Grundidee ist nicht kaputtzukriegen – auch denn nicht, wenn einmal ein schwächerer Zeichner oder Autor sch am Stoff vergreift. Als berühmtester Gast hat sich übrigens Terry Moore („Strangers in Paradise”) gewinnen lassen, bei den anderen handelt es sich meist um solide Genrekünstler.
Und David Petersen selbst ist auch vertreten. Er hat die Rahmenhandlung und Überleitungen zu den Comics der anderen gezeichnet: als klassische Kneipenkonstellation, in der sich die Wächter all die Geschichten erzählen. Das Feuer prasselt im Kamin, die Krüge sind voller Bier, und man sitzt in froher Runde zusammen. Draußen ist es kalt, aber die Erzählungen wärmen das Herz von Mäusen und Menschen.