Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Das Zeichengenie

Die schönste Leihgabe, die wir Deutschen in den letzten Jahren aus Frankreich bekommen haben, heißt Blexbolex. Der Zeichner lebt mittlerweile in Leipzig und entwickelt sich zum Superstar der Illustration. Nun erscheint auf Deutsch sein neues Buch „Niemandsland", und der Verlag nennt es eine Graphic Novel. Ist sie das? Und wie steht es um sein zweites neues Buch, „Crimechien", das bisher nur in Frankreich zu bekommen ist?

Wer ein Bild sieht, das Blexbolex gezeichnet hat, wird es nicht mehr vergessen. Denn der 1966 als Bernard Granger geborene Künstler hat ein unglaubliches Zeichentalent. Und „Zeichentalent” soll hier doppeldeutig verstanden werden: als Talent zum Zeichnen und als Talent für Zeichen. Die Bilder von Blexbolex erinnern an Piktogramme, aber sie stecken so voller Leben, dass man sofort eine ganze Geschichte vor Augen hat.

Deshalb kommen seine beiden erfolgreichen Bücher „Leute” und „Jahreszeiten”, die beide vom Berliner Verlag Jacoby & Stuart auf Deutsch herausgebracht wurden, beinahe ohne Worte aus. Man versteht auch ohne, was Blexbolex erzählen will. Bei dem gerade herausgekommenen neuen Band „Niemandsland” ist beides anders: Es gibt zu jedem der wieder jeweils ganzseitigen Bilder einen ausgiebigen Erzähltext, und nach der Lektüre versteht man etwas weniger, was Blexbolex erzählen will.

Aber das macht nichts, denn was wir lesen, ist ein Assoziationsstrom. Blexbolex zeichnet erst, dann arrangiert er seine Bilder zu einer Handlung, und schließlich schreibt er dazu die Texte. Wenn man darauf verzichtet, sie zu lesen, stellt sich sofort wieder das vertraute Blexbolex-Sehvergnügen ein. Und wenn man sie doch liest, kann man immerhin einen neuen Blexbolex kennenlernen, der auch literarisch seinen Reiz hat. Nur das Zusammenspiel zwischen Bild und Text funktioniert noch nicht perfekt, weil beide Elemente für sich stehen (und das nicht nur räumlich).

Allerdings behauptet der Verlag trotzdem, dass es sich bei „Niemandsland” um eine Graphic Novel handele. Das tut Jacoby & Stuart übrigens mittlerweile immer, wenn der Verlag ein anspruchsvolleres illustriertes Buch zu vermarkten hat. Dabei hat „Niemandsland” mit Comics (und jede Graphic Novel ist ein Comic) nichts zu tun, und es ist auch gar nicht schade darum, dass das so ist, weil Blexbolex eben auch einen ganz eigenen Präsentationsstil hat, den ihm keiner so leicht nachmachen wird. In Frankreich muss denn auch niemand irgendein Etikett auf diese Bücher kleben. Wenn es überhaupt eine Kategorie gäbe, die passen sollte, dann müsste man von einem Bilderbuch sprechen, aber da denken alle Deutschen ja gleich an Kinder. Wir haben eben vergessen, was Frans Masereel in den zwanziger Jahren auf diesem Feld für Erwachsene geleistet hat. In seiner Tradition steht „Niemandsland” (obwohl Masereel immer ohne Texte erzählte).

Und in dieser Tradition steht auch „Crimechien””, der zweite neue Band von Blexbolex. Schon der Titel ist toll: Verbrecherhund. In Frankreich ist dieses Buch gleichzeitig mit „Niemandsland”, das dort „Hors-Zone” heißt, erschienen, und beide bilden tatsächlich ein Zwillingspaar, dessen deutlich dünnere Hälfte „Crimechien” sich wie ein Prolog zu „Niemandsland” liest. Dadurch aber versteht man auch viel besser, was in dem recht rätselhaften – weil eben assoziativ erzählten – anderen Buch geschieht. Zum Beispiel wird die grandiose vieläugige Alien-Gestalt des Erzbösewichts Banks in „Crimechien” eingeführt, während er in „Niemandsland” einfach auftaucht, als müsste man ihn kennen.

Warum hat man in Deutschland nicht auch gewagt, was Frankreich macht: die Doppelpublikation? Zunächst einmal erscheint Blexbolex beim französischen Verlag Cornélius, und den hat er in den neunziger Jahren selbst mitbegründet. Klar, dass man als Zeichner mehr Entgegenkommen erwarten darf, wenn man auch Verlagschef ist. Und dann ist Blexbolex in seinem Heimatland immer noch viel bekannter als in seinem Gastland, auch wenn er längst Weltruf genießt. Seit 2009 lebt er in Leipzig und fühlt sich dort pudelwohl – sowohl die Bilder zu „Niemandsland” als auch zu „Crimechien” lassen das sichtbar werden. So gesehen ist es dann fast schofel, dass der französische Klappentext verschweigt, wo Blexbolex nun wohnt, aber womöglich wäre diese Angabe seinem Ruf in Frankreich abträglich. Egal – man muss ihn lesen. Oder in diesem Fall besser: sehen. Und wie man dann das nennt, was er macht, ist ganz egal.