Normalerweise werden auf diesem Platz Comics gewürdigt, aber dieses Buch ist keiner. „Der Lorax” ist ein Bilderbuch. Normalerweise werden auf diesem Platz Zeichnungen gelobt, aber diesmal nicht, obwohl es genug davon im „Lorax” gibt. Aber Nadia Budde, die eine wunderbare Zeichnerin ist, tritt nämlich im Buch nur als Übersetzerin auf. Normalerweise wird auf diesem Platz Einfallsreichtum gepriesen, aber diesmal geht es um Werktreue. Dr. Seuss, den amerikanischen Autor von „Der Lorax”, zu übersetzen, ist nämlich so ziemlich das Schwierigste, was man sich vorstellen kann. Und doch ist es gerade die Phantasie Nadia Buddes, die ihre Übersetzung hat gelingen lassen, ist es gerade die Qualität der Zeichnungen von Dr. Seuss, die das ganze Buch zum Ereignis macht, und ist es gerade doch noch ein Comicthema, denn Nadia Budde ist eben auch Comiczeichnerin.
Zwei Sätze zur Geschichte des „Lorax”-Buchs (der historischen Geschichte, nicht zum Inhalt). Dr. Seuss, der in Wahrheit Theodor Geisel hieß, war schon 67 Jahre alt, als er es 1971 schrieb und zeichnete, und er war – und ist – der erfolgreichste Kinderbuchautor der Welt. Entsprechend große Aufmerksamkeit fand das Buch, weil hier ein Altmeister in politisch unruhigen Zeiten (Studentenbewegung!) eine Geschichte erzählte, die die Ausbeutung der Natur durch die Industrie aufs Schärfste verdammt. Leider hat die Handlung seitdem nichts an Aktualität verloren.
Deshalb ist dieses Buch nun auch in Hollywood verfilmt worden – als Trickfilm (https://www.theloraxmovie.com/index.php#/splash). Den Lorax, jenes kleine barsche Wesen, das die unberührte Natur erfolglos zu verteidigen versucht, spricht mit Danny DeVito genau der richtige Schauspieler. Der Film kommt Mitte Juli in die deutschen Kinos, und deshalb erscheint jetzt endlich die erste deutsche Übersetzung von „Der Lorax”.
Warum hat das so lange gedauert? Weil Dr. Seuss im Grunde genommen unübersetzbar ist. Er erfindet munter neue Wörter, und vor allem sind alle seine Texte gereimt. Da er aber besonders gern für Leseanfänger schrieb, benutzte er auch noch bevorzugt simple Worte, die im Englischen meist einsilbig sind. Das ist im Deutschen anders, und entsprechend kompliziert gestalten sich Übersetzungen.
Dass es dennoch möglich ist, seine Bücher ins Deutsche zu bringen, hat erst 2011 die Schriftstellerin Felicitas Hoppe mit der Übersetzung von gleich drei Geschichten bewiesen, die als „Grünes Ei mit Speck” zusammen erschienen sind. Auch sehr empfehlenswert. Aber dass es nun gleich weitergeht, und dann noch mit einer der besten deutschen Illustratorinnen in neuer Rolle, damit war nicht zu rechnen. Nadia Budde, so viel schon mal jetzt, hat das gut gemacht.
Natürlich muss sie Zugeständnisse machen. Bisweilen etwa das Reimschema ändern oder auch mal dem Seusschen Rhythmus untreu werden. Aber wie soll man auch das für „Der Lorax” zentrale Wort unless” übersetzen? Man könnte „bis” sagen, aber da entginge dem Wort die Gravität, die es im Englischen hat. Also übersetzt Nadia Budde „Es sei denn”. Ziemlich gewagt. Und ziemlich passend. Aber mit Silbentreue ist es da selbstverständlich aus.
Dafür wahrt sie möglichst die Abfolge des Geschehens, was einfach klingt, es aber in gereimten Gedichten nicht ist, wo man in einer Übersetzung bisweilen besser zurechtkäme, wenn man den Inhalt einer Zeile auf zwei verteilte oder sie verschöbe. Das aber tut Nadia Budde möglichst nicht, und so kommt jenes Element der Verskunst von Dr. Seuss auch im Deutschen zur Geltung, für das die englische Sprache die Bezeichnung „nursery rhyme” hat. „Wiegenlied” würde es nicht ganz treffen.
Egal, die Lektüre von „Der Lorax” ist ein großer Spaß. Auch weil Nadia Budde so wunderbare Worte wie den „Schnauch” erfindet. Das ist ein gestricktes Gebilde, das als Kleidungsstück oder Überzug oder Teppich oder überhaupt zu ziemlich allem und nichts taugt. Im Original heißt es „Thneed” – beide Begriffe erleichtern in den jeweiligen Sprachen das Reimen.
Für die Herstellung dieser Thneeds oder Schnauche (Schnäuche?) holzt eine ominöse Figur namens der Einstler alle Trüffalo-Bäume in einem idyllischen Tal ab. Denn deren Tuffs sind der Rohstoff für die Schauche. Was ein Tuff ist? Selbst sehen! Und der Einstler? Den kann man nicht sehen, zumindest nicht deutlich. Sein Name ist übrigens eine Übersetzung, die der Mehrdeutigkeit des englischen „Once-ler” nicht gerecht wird. Denn neben dem „einst” klingt natürlich auch „uncle”, der Onkel, an, zumal bei einem deutschstämmigen Autor wie Dr. Seuss. Aber wie sollte man das retten?
Man genieße einfach, was da ist. Die Braunfelliwullis in ihren Braunfellipullis etwa. Oder die Summerfische und Schwippschwäne. Das sind wunderbare neue Worte, die den „Brown Bar-ba-loots in their Bar-ba-loot suits”, den „Humming-Fish” und den „Swomee-Swans” des Originals nicht nachstehen. Und man könnte mehr nennen, viel mehr. Aber dann machte die eigene Lektüre nur halb so viel Spaß.