Als Christopher Longé, der sich als Comic-Künstler nur Christopher nennt, geboren wurde, waren die wilden Jahre der englischen Popmusik schon vorbei. Das war 1969, und die Beatles sollten sich im Jahr darauf trennen, die Mitglieder von The Who gingen auf die Dreißig zu, die sie laut ihren frühen Liedtexten nie erreichen wollten, die Rolling Stones hatten ihre Dauerrivalität mit den Beatles begraben und die Kinks waren den Verlockungen der Konzeptalben erlegen – wie übrigens irgendwann die anderen drei Bands auch. Doch obwohl der junge Christopher, der in England geboren wurde, aber in Südfrankreich aufwuchs die Musik der sechziger Jahre nur als Nachgeborener kennenlernte, war sie es, die ihn prägte, und dafür stattet er jetzt mit dem Comiczyklus „Love Song” seinen Dank ab (leider keine deutsche Leseprobe: https://www.salleck-publications.de/vollbild.php3?svImageBig=love_song_1.jpg&nArtikel_ID=2191&VID=fC51FGHPi4U99rf3).
Er besteht aus vier Alben, und jedes davon widmet sich einem Mitglied der imaginären französischen Rockband The Sleeping Watermelons. Zugleich aber ist jedes Album auch eine Reverenz an eine Band: das erste an die Beatles, das zweite an die Stones, das dritte an die Kinks, das letzte an The Who. Und in jedem finden sich Kurzgeschichten, die nach berühmten Songs der jeweiligen Gruppe betitelt sind. So wird jeder Band zu einem Konzeptalbum, und alle vier Bände ergeben ein Konzeptquartett.
Dessen erster Teil ist nun auf Deutsch erschienen, bei Salleck Publications, dessen Verleger Eckart Schott seit Jahren eine mutige, fast ausschließlich auf französischem Material beruhende Veröffentlichungspolitik betreibt (nicht zu vergessen allerdings die gefeierte „Spirit”-Gesamtausgabe von Will Eisner). Auch „Love Song” ist wieder ein Wagnis, denn von Christopher ist bislang nichts auf Deutsch verlegt worden, obwohl seine Serie „Les Filles” in Frankreich durchaus populär ist. Aber sie ist auch typisch französisch, während man bei „Love Song” darauf rechnen darf, dass neben den frankophilen auch die musikliebenden Comicleser neugierig werden.
Im Endeffekt aber ist „Love Song” die männliche Version von „Les Filles”. Beide Serien spielen in der Provinz, in Tours, dem Wohnort von Christopher, und erzählen von festen Freundeskreisen, die sich mit den Widrigkeiten eines einigermaßen saturiert-kleinbürgerlichen Lebens herumschlagen, das trotzdem so wild sein soll, wie das in der Jugend noch der Fall war. Bei „Les Filles” drehte es sich um Frauen, und es war faszinierend zu sehen, was für ein guter Beobachter des anderen Geschlechts Christopher ist; bei „Love Song” sind nun Männer sein Thema, und hier ist erstaunlicherweise alles viel mehr klischeeverhaftet.
Aber es ist auch alles äußerst liebevoll erzählt. Man spürt die autobiographische Anteilnahme des Autors, und der Vergleich mit „Monsieur Jean”, dem perfekten Zeitbild der achtziger und neunziger Jahre, das Dupuy & Berberian dem französischen Comic geschenkt haben, ist nicht zu groß: „Love Song” erzählt ähnlich, sieht ähnlich aus, ist aber im 21. Jahrhundert angesiedelt. Die Protagonisten sind um die vierzig Jahre alt, wollen aber nicht erwachsen werden.
Dass dieser ewigen Jugend oder meinethalben Kindlichkeit vor allem ihre Liebesbeziehungen im Weg stehen, ist klug erkannt. Denn alle vier Männer definieren sich außer durch die seit zwei Jahrzehnten gemeinsam nebenher gespielte Musik vor allem durch ihr nie ermüdendes Interesse an Frauen. Zumindest behaupten Manuel, Samuel, Hubert alias Boulette und Gregoire das, aber meist wachsen ihnen schon die eigenen festen Bindungen über den Kopf. Das ist anfangs leicht frivol und wird am Schluss des Auftaktbandes geradezu existenzialistisch schwer. Für die drei Folgealben sind jedenfalls genug Konflikte angelegt.
Weltbewegend ist die Handlung nicht, aber wie hier ganz im Sinne eines Pop-Albums unterschiedlich lange Stücke miteinander kombiniert werden, um mehr zu erzählen als die bloße Summe dieser Teile, ist ebenso geistreich wie die gelegentliche Verschränkung mehrerer Zeitebenen in den Erinnerungen von Manuel, dem der erste Band gehört. Da verändert sich im Fluss der Geschichte von Bild zu Bild die Handlungszeit, die Akteure wechseln laufend ihr Aussehen, die Dekors je nach den Moden, und trotzdem wird stringent durcherzählt – eine reife Leistung, die nur in einer Form möglich ist, die wie der Comic aus dem dialektischen Verhältnis von Text und Bild entsteht.
Das klingt höchst anspruchsvoll, ist aber halb so wild – wie die Möchtegernrocker von „The Sleeping Watermelons”. Doch so, wie sie ihren Spaß haben, hat man ihn als Leser auch bei der Lektüre. Die weiteren drei Bände werden zeigen, ob das Konzeptdenken wie den von ihm vergötterten Bands auch Christophers Comic die rauhe Frische austreibt.
<p>Ihre Headline fragt (so...
Ihre Headline fragt (so nehme ich es an) ob man Popmusic als Lebensleitlinie beachten kann?.
Nach meiner Sicht, mit einem klaren JA.
Manchmal wache ich auf “To the Sound of Music” und nach den Nachrichten “Hoer ich nur noch “I’m a man of constant sadness”. Nach dem Kaffeeklatsch bleibt der Sound von Frankie (Sinatra), oder Dean Martin, im Gehirn.
Im Verkehrstau hilft Elvis, Roy Orbison, oder die Soggy Bottom Boys und deren Bluegrass Sound , um den Verkehrsaerger zu ueberstehen..
Muss ja nicht alles R&R sein, aber hey a little Country&Western schadet nie, even a little Soul, und wenn ich eine neue “Leitlinie” suche, gehts zu der Klassischen Musik von Bach zu Beethoven und all die Anderen.
Und auf der Autobahn mit 120km auf dem Tacho — wenn niemand guckt — dann gibt mir die Musik “Satisfaction”, obwohl Mick J. immer schrie dass er keine bekommen konnte. At that moment, when cruising on “Tempomat”: singe ich auch, aber schreie: “Ah get a lot of satisfaction”, Mich old chap..
Ergo: Musik — nicht nur Pop — war schon immer eine angenehme Leitlinie. Keep it going.
Pax vobiscum