Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Die schönste Lokomotive der Welt

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Sechs Exemplare nur stellte die belgische Staatseisenbahn im Jahr 1939 vom Modell Atlantic Typ 12 in Dienst, dann kam der Zweite Weltkrieg, die Deutschen besetzten das Land, und nach 1945 war der Zeitgeschmack übers Art-Déco hinweg gegangen. Und genau das war diese Atlantic Typ 12: reines Art-Déco. Kein Wunder, dass einer der größten Bewunderer dieses Stils, der belgische Comiczeichner Francois Schuiten, einen Comic über das Schicksal dieser Lokomotive gemacht hat.

Francois Schuiten? Das ist ein Zeichner, den auch einige Leute außerhalb des klassischen Comicpublikums kennen – spätestens, seit er auf der Weltausstellung von Hannover im Jahr 2000 den Pavillon „Planet of Visions” gestaltet hat, eine der wenigen wirklich gelungenen Attraktionen dieser Schau. Schuiten und die Weltausstellung, das passte aber auch perfekt zusammen, denn der 1956 geborene Belgier ist ein Bewunderer jener Jahre, als die Industrialisierung ästhetische Formen hervorbrachte, die für uns heute von größter Eleganz sind. Und das war zugleich die große Zeit der Weltausstellungen. Ich sage nur: Eiffelturm.

Dass sich Schuiten nun einer Lokomotive als Gegenstand seines neuesten Comics angenommen hat, wird niemanden verblüffen, der das gute Stück vor Augen hat. Das Modell Atlantic 12, das vom französischen  Konstrukteur André Huet für die belgische Eisenbahngesellschaft SNCB entworfen wurde, ist ein Traum der klaren Linie, als wäre sie einer Zeichnung von Hergé entsprungen. Zugleich ist ihre noch heute futuristisch wirkende Vollverkleidung, hinter der sich eine ganz normal aussehende Dampflokomotive verbarg, reines Art-Déco. Und wer nun doch auch den Comiczeichner Schuiten und dessen über Jahrzehnte herangereifte Serie „Die geheimnisvollen Städte” kennt, der ahnt bereits, dass die Atlantic 12 ästhetisch perfekt in seine phantastischen Welten passt: https://www.schreiberundleser.de/index.php?main_page=popup_img&pID=402&imgType=lese1.

Nun ist die achtzigseitige Comicerzählung „Atlantic 12″ über das Schicksal einer dieser Lokomotiven zwar durchaus der Phantastik zuzuordnen – das Geschehen spielt in einer aus der Zeit gefallenen Welt, in der gerade die klassische Eisenbahntechnik durch Schwebebahnen ersetzt wird, aber das hat es in der Wirklichkeit außer im Film „Metropolis” und dem höchst realen Wuppertal nicht gegeben -, aber nicht mehr dem großen Comiczyklus um die geheimnisvollen Städte. Schon dass deren Szenarist Benoît Peeters hier nur als Gegenleser, nicht aber als Autor mitgearbeitet hat (der Text stammt von Schuiten selbst), zeigt, dass hier ein Sonderweg beschritten wird, auch wenn grafisch alles beim Alten bleibt (und damit auch beim Besten, denn Schuitens Zeichnungen merkt man die Familientradition der Architektur an; sein Bruder Luc ist einer der namhaftesten belgischen Architekten).

In „Atlantic 12″ wird die wirkliche Geschichte einer Vertreterin dieses Typs als Rohstoff für die neue Fabel genommen. Nur sechs Maschinen waren bis Kriegsausbruch geliefert worden, und nur eine sollte die Jahrzehnte seitdem überstehen; heute wartet sie auf ihre Einlieferung ins noch zu eröffnende belgische Eisenbahnmuseum. Angeblich blieb diese Lokomotive aber nur deshalb erhalten, weil begeisterte Eisenbahner sie vor der Verschrottung versteckt hatten. Das gleiche passiert dann auch der nach ihrem Vorbild gestalteten Atlantic 12 aus Schuitens Comic.

Dazu kommt eine Liebesgeschichte, die wie immer bei diesem Zeichner (nur dass normalerweise Benoît Peeters die erzählerische Verantwortung dafür trägt) ein ödes Klischeebild bietet. Dem bärbeißigen Lokomotivführer Leon wird die stumme Schönheit Elya zur Seite gestellt, die den alten Mann auf die Spur seines verschwundenen Triebwagens bringt. Dazu begeben sich Mann und Frau auf eine lange Reise mit der eigentlich verhassten Schwebebahn, die Schuiten die schönsten Gelegenheiten zu ungewöhnlichen Perspektiven verschafft.

Ja, viel eleganter kann ein Comic nicht aussehen, und viel absehbarer erzählt kann man wohl kaum einen lesen. Welcher Aspekt die Oberhand behält, ist schwer zu sagen; bei mir sind es die Zeichnungen, aber ich bin mit Schuitens Kunst vor fünfundzwanzig Jahren an Erwachsenencomics herangeführt worden. So etwas prägt.

Auf jeden Fall zu loben ist die Sorgfalt, mit der der Verlag Schreiber & Leser, der sich nach dem Verzicht von Ehapa, der langjährigen publizistischen Heimat Schuitens in Deutschland, nun seines Werks annimmt. Dieses Album ist rundum prächtig produziert und von nicht geringerer Eleganz als das Designwunder des Modells Atlantic 12. Wer für schöne Lokomotiven oder schöne Comics eine Schwäche hat, ist hier blendend bedient. Die anderen kaufen dann eben weiter Manga oder „Micky Maus”.

 


1 Lesermeinung

  1. EgonOne sagt:

    <p>Riding the...
    Riding the rails…!
    Es freut mich sehr dass der erwaehnte Zeichner sein Talent benutzt “Die Schoenste Lokomotive der Welt” zu feiern.
    Das ist sehr gut, besonders die Lokomotiven die am Ende der Dampf Epoche im Dienst waren, — die waren wirklich der Hoehepunkt der damaligen Technologie.
    Nach meiner Sicht gab es damals so um die dreissiger Jahre bis Ende der vierziger Jahre grosse Dampfloks die die Elite Zuege ueber Kontinente, und Bergeketten von Ozean zu Ozean fuhren. Besonders in Nord-Amerika.
    Hoffentlich findet der Zeicher Zeit für die grossen Loks die z.Bsp. bei Canadian Pacific Railroad durch die Rockies fuhren bis Vancouver an der Westkueste.
    Oder die Art Deco Loks die von Chicago nach California reisten. Das waren einige der groessten Damfloks, die je gebaut wurden. Die waeren sicherlich eine kuenstleriche Zeichnung wert.
    Auch in der Republik von Sued-Afrika hatte man riesige Dampflokomotiven die sogar bis in die Sechziger Jahre (ungefaehr?) aktiv waren. Manche von denen wurden in GB gebaut und nach dort verschickt.
    Nach meiner Sicht das waren impoante Lokomotiven, — richtige Dampfschnaubende Monster — die sich neben dem Atlantic 12 Modell sicherlich sehen lassen koennten.
    Das waren die Showpieces des Railroad Alters, wenn Steam was King.
    I still enjoy riding the rails — even with Diesel Loks.
    Pax vobiscum

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