Für das dickste Comic-Buch dieses Jahres nehme ich mir einen möglichst knappen Platz. Der Verlag bietet ja auch keine Leseprobe an – das würde dem Werk einfach nicht gerecht. Aber man muss auch weder über Yoshihiro Tatsumi noch über seine achthundertseitige Autobiografie „Gegen den Strom”, die gerade auf Deutsch erschienen ist, viele Worte machen. Nur so viele: Tatsumi, geboren 1935, ist einer der ganz Großen der Manga-Geschichte. Er war es, der Ende der fünfziger Jahre zusammen mit einigen befreundeten Zeichnern in Osaka das Gekiga-Genre etablierte, das dem Manga ein erwachsenes Publikum erschloss – nicht über Erotik, wie man meinen könnte, sondern über ernsthafte Blicke auf den japanischen Alltag. Erst seitdem haben die Comics Japan derart erobern können, wie wir es heute kennen.
„Gegen den Strom” hat deshalb auch völlig zu Recht auf dem diesjährigen Comicfestival von Angoulême den Preis „Regards sur le monde” (Blicke auf die Welt) gewonnen. Man bekommt in der Tat Einblick in eine Welt, die bei aller Manga-Begeisterung in Deutschland so gut wie unbekannt ist: die Produktion von Comics in Japan, die unter Arbeitsbedingungen stattfanden, die für uns angesichts des weltweiten Erfolgs schwer vorstellbar sind (größter Zeitdruck, schlechte Bezahlung, kaum Anerkennung).
Tatsumi beginnt seine Erinnerungen, die in Japan als Fortsetzungsserie schon in den neunziger Jahren entstanden, mit dem biografischen Einschnitt der japanischen Kapitulation im August 1945. Alles musste danach neu begonnen werden, auch die Comics, die in Osamu Tezuka ihren ersten Meister fanden. Tatsumi hatte das Glück, von Tezuka persönlich zum Zeichnen ermuntert zu werden, doch wie mühsam dann sein Weg verlief (auch noch zu einem Zeitpunkt, wo Gekiga bereits erfolgreich waren), das hätte man sich nie vorstellen können, wenn er es hier nicht aufgezeichnet hätte.
Als Protagonist verfremdet zu Hiroshi Katsumi, erzählt Tatsumi von seinem Werdegang bis 1960; er hört also bewusst vor dem ganz großen Durchbruch auf – ein Bescheidenheitsgestus, der sich auch immer wieder in Details dieser Autobiografie findet. Zeichnerisch zieht Tatsumi alle Register: Er zitiert Hiroshige, arbeitet per Montage die Titelbilder oder Einzelseiten von Kollegen ins Geschehen ein und gestaltet immer wieder fotorealistische Dekors, die das realistische Ethos der Gekiga beschwören. Der Humor kommt dabei nicht zu kurz, denn die Truppe junger Comiczeichner in Osaka ist eine skurrile Versammlung von Fanatikern, deren private Marotten sich aufs Schlimmste ergänzen.
Kurz: Das muss man lesen. Großartig, dass der Carlsen Verlag das Risiko eingegangen ist, diesen Riesenband zu produzieren, und noch großartiger, wenn es auch noch genug Leser gäbe, die den happigen Preis von 44 Euro zahlen. Dass man dabei nicht auf das typische Mangapublikum setzt, zeigt die Tatsache, dass man den Band auf westliche Leserichtung gespiegelt hat – also für Traditionalisten wie mich. Und man ließ größte redaktionelle Sorgfalt walten. Gerade mal zwei Fehler (einmal eine unterschiedliche Namensschreibweise, das andere Mal eine ungebräuchliche Redewendung) sind mir auf fast 850 Seiten aufgefallen – das darf man wohl als lässliche Petitessen bezeichnen. Hut ab also vor dem Übersetzer John Schmitt-Wiegand und dem Letterer Johnny Willisch!
<p>Gerade als Traditionalist...
Gerade als Traditionalist muesste Ihnen doch jede Spiegelung eines Manga zuwider sein! Besonders, wo es hier um das Zeichnen geht – und dann werden aus Rechtshaendern gleich Linkshaender und umgekehrt, und die Autos fahren auf der (fuer Japan :-)!) falschen Seite. Die Sprache muss man uebersetzen, aber das Bild sollte man doch so original wie moeglich wiedergeben. Gespiegelte Manga sind mir ein Greuel.