Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Wissenschaft über Bilder mit Bildern

Das neue Heft der Literaturzeitschrift „Neue Rundschau" widmet sich fast zur Gänze dem Thema Comic. Der Schriftsteller und Comic-Kenner Thomas von Steinaecker hat dafür zahlreiche Essayisten und Theoretiker um Aufsätze gebeten, aber das Schönste sind am Ende doch die Comics selbst. Die gibt es nämlich auch im Heft. Und eine kleine literarische Überraschung ganz am Schluss.

Zunächst dies als Vorbemerkung: Der Autor dieser Zeilen ist selbst mit einem Beitrag in der Publikation vertreten, um die es hier geht. Deshalb also kein Wort über die Qualität des eigenen Aufsatzes und der anderen historisch-ästhetischen Beiträge im gerade erschienenen Heft der Literaturzeitschrift „Neue Rundschau” (Nr.3 im 123. Jahrgang; so lange muss man in Deutschland schon warten, um mal ein Schwerpunktheft für Comics zu bekommen; das viel jüngere „Schreibheft” hat es allerdings schon anderthalb Jahrzehnte früher geschafft).

Stattdessen ein paar Worte über das, was den Comicfreund ohnehin mehr interessiert: die Comics in diesem Heft der „Neuen Rundschau”. Sie sind bemerkenswert. Und zwar deshalb, weil der für diese Ausgabe zuständige Herausgeber, der Schriftsteller und Comic-Afficionado Thomas von Steinaecker, gute Kontakte hat und einen noch besseren Ruf in der Szene genießt. Also hat er sich die Mitarbeit einiger der interessantesten deutschen Künstler sichern können: Anke Feuchtenberger, Judith Mall, Ulli Lust, Barbara Yelin, Martin tom Dieck, Oliver Grajewski, David von Bassewitz, Simon Schwartz, Arne Bellstorf. Und Sascha Hommer schreibt zwar vor allem über seinen letztjährigen dreimonatigen China-Aufenthalt und die Geschichte, die er daraus machen will, aber es gibt auch eine Skizzen- und eine fertige Seite daraus zu sehen. Schön, denn solche Einblicke in die Werkstatt sind selten.

Was machen die anderen Zeichner? Fünf von Ihnen (Feuchtenberger, Yelin, tom Dieck, Schwarz und Bassewitz) setzten ein Gedicht des 2005 gestorbenen Lyrikers Thomas Kling in Comics um – alle dasselbe. „ausgerottete augn” heißt es, stammt aus dem berühmten Band „brennstabm” von 1991 und wurde wohl vor allem ausgesucht, weil darin das Wort „schmerzcomic” vorkommt.

Und daran hält sich das Quintett: Es sind radikale Lösungen, vor allem die nahezu abstrakte von Martin tom Dieck und die aus der Schrift in Gekritzel übergehende von Dirk von Bassewitz. Die ausgefallenste, nämlich inhaltlich ganz freie, hat Anke Feuchtenberger gemacht; sie ist mit fünfzehn Seiten auch die längste. Ich wüsste gern, ob dieser Comic wirklich eine Adaption des Kling-Gedichts ist, oder ob Anke Feuchtenberger eine passende bereits existierende Geschichte ausgesucht hat.

Die Hamburgerin Judith Mall ist noch nicht sehr bekannt. Ihre dreizehnseitige Geschichte „Hollywood” ist auch weniger Comic als vielmehr eine Bildergeschichte mit ganzseitigen Illustrationen im Geist von Frans Masereel (und in der Optik von David Lynch). Oliver Grajewski dagegen liefert fast so etwas wie einen Comic-Essay über die Frage, was Kunst ist – auf gerade mal fünf Seiten. Und Arne Bellstorf hat eine Doppelseite gestaltet, die als graphische Einleitung zum folgenden Text über das Verhältnis von Comic und Architektur dient (meinem Beitrag, um ehrlich zu sein).

Bleibt noch Ulli Lust. Sie hat einen vierseitigen autobiographischen Comic über einen Besuch beim Literaturfestival in Aix-en-Provence gezeichnet, wo sie gemeinsam mit dem Schriftsteller Marcel Beyer die Arbeit an ihrem aktuellen Projekt, einer Adaption von Beyers Roman „Flughunde”, vorgestellt hat. Das ist ein schöner Vorausweis auf den in dreijähriger Arbeit entstandenen Comic, der erst im kommenden Jahr erscheinen wird – immerhin die erste große Publikation von Ulli Lust seit ihrem fulminanten „Dies ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens”.

Leider sind druckbedingt alle in der „Neuen Rundschau” enthaltenen Comics schwarzweiß. Aber am Schluss, nach der großen, über zweihundert Seiten gehenden Comic-Sektion, folgen noch ein paar literarische Texte, darunter eine Jugendreminiszenz des Leipziger Schriftstellers Clemens Meyer. Er zählt nicht zu den von Steinaecker beauftragten Autoren, doch er ergänzt das Textkonvolut auf das Schönste, indem er sich an seine Kindheitslektüre der Abrafaxe im DDR-Comic-Heft „Mosaik” erinnert. Alle beschwören immer die Bedeutung von Hannes Hegens Digedags (und auch der nachgeborene Meyer hat sie irgendwann für sich entdeckt), aber schön, dass man hier einmal vorgeführt bekommt, wie auch bestenfalls durchschnittliche Comics zu prägender Lektüre werden können. Und zur Keimzelle des Erzählens eines erstklassigen Schriftstellers.