Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Eine Liebe von Hergé

Gezeichnete Biographien von Comic-Zeichnern sind en vogue. Kürzlich erschien „Gringos Locos“, eine grandiose Schilderung der Amerikareise von Jijé, Franquin und Moris im Jahr 1948, auch auf Deutsch. Die Kinder der Zeichner erregten sich über diese Darstellung. In Frankreich gab es jüngst juristischen Trubel um die Biographie von Edgar P. Jacobs. Doch was ist das alles gegen einen Comic, der die Frage stellt, ob Hergé, der Vater von „Tim und Struppi“, in den chinesischen Studenten Zhang verliebt gewesen sein könnte?

Wir können benennen, um was es geht, Laurent Colonnier tut das aus Vorsicht nicht. Die Helden seines Comics sind, wie der Titel schon verrät, Georges und Tchang, doch nirgendwo ist in der Geschichte „Georges & Tchang“ von Hergé die Rede (auch nicht von seinem eigentlichen Familiennamen Remi) oder von Zhang Chongchen, wie der gleichfalls siebenundzwanzigjährige chinesische Student hieß, der 1934 in Brüssel seine Ausbildung als Bildhauer vollenden wollte.

Auch „Tim und Struppi“ (im Original „Tintin“) tauchen nie auf, obwohl diverse Bilder Ausschnitte aus Titelbildern der ersten Abenteuer zeigen, die aber klugerweise nie so zu sehen wind, dass die Titelschriftzüge als Ganze lesbar wären. Colonnier, 1967 in Paris geboren, weiß um die ungebrochene Prozessfreudigkeit von Hergés Witwe Fanny Rodwell und der Stiftung, die das Erbe des großen Zeichners verwaltet. Und es geht in „Georges & Tchang“ Ansicht: https://www.12bis.com/bande-dessinee/aventure/georges-tchang) auch darum, ob die beiden Männer sich damals ineinander verliebt haben.

Es geht allerdings noch um viel mehr, und deshalb würde es die Komplexität der Geschichte verkürzen, wenn man sie nur auf das Thema Homosexualität abklopfen würde. Colonnier hat dafür keinen Beleg, und er zeigt seine beiden Protagonisten auch nie als Liebespaar, aber wie es unter Künstlern üblich ist, hat man im Atelier schnell einmal wenig an, zumal wenn die Kleidung gerade nach einer Schneeballschlacht durchnässt ist. Es gehen faszinierte Blicke von Hergé auf den entblößten Chinesen, doch ob sie mehr beinhalten als Neugier auf die menschliche Anatomie, muss sich der Leser selbst fragen.

Worum geht es noch? Um eine hochspekulative, aber auch hochspannende Episode aus dem Leben von Hergé. 1934 änderte sich unter dem Einfluss von Zhang sein Stil. Die „Tim und Struppi“-Comics, bis dahin eher kindliche Abenteuererzählungen eines Autors, der selbst gerade mal Anfang zwanzig war, als er mit der Serie begann und von der Welt nicht mehr gesehen hatte, als die Pfadfinderlager seiner Jugend, wurden mit der Geschichte „Der blaue Lotus“ realistisch; sie nahmen vorweg, was Milton Caniff (witzigerweise auch Jahrgang 1907 wie Hergé und Zhang) wenig später mit „Terry and the Pirates“ in den Vereinigten Staaten tat. Hergé zeichnete schon vor dieser Revolution auf gleiche Weise, und das verdankte sich auch Zhangs Einfluss, der Hergé bei den Recherchen für authentische Dekors half und die meisten im Comic enthaltenen chinesischen Schriftzeichen ausführte.

Zhang war zu einer Zeit in Europa, als die Japaner den Krieg mit seiner Heimat begonnen hatten. Dieses aktuelle politische Geschehen ist auch der Hintergrund für „Der blaue Lotus“, und wenn Hergé in den ersten Bänden der Serie noch naiv-eurozentristisch erzählt hatte, so nahm sein Held Tim nun die Seite der angegriffenen Chinesen ein, obwohl Belgien die Japaner unterstützte. Und die Zeitung „Vingtième Siècle“, in der „Tintin“ abgedruckt wurde, tat das auch.

Diese überraschende Wende in seinen politischen Ansichten ist immer auf Chang zurückgeführt worden, und der Comic macht daraus nun eine Agentengeschichte voller Intrigen, in deren Zentrum die beiden harmlosen Künstler stehen, die nichts wollen, als eine möglichst gute Geschichte zu erzählen. Und daraus macht Laurent Colonnier selbst eine richtig gute Geschichte, die etwas mühsam losgeht, aber immer mehr Fahrt aufnimmt und zum Schluss ein Finale findet, das der Erzähltradition, die Hergé begründet hat, vollauf gerecht wird.

Es tauchen natürlich etliche Nebenfiguren oder Details auf, die „Tim und Struppi“-Fans Spaß machen werden. Vorbilder für Bianca Castafiore etwa oder für Professor Bienlein. Die japanischen Schurken sind direkt an den Akteuren aus „Der blaue Lotus“ angelehnt, und Colonnier macht sich auch den Spaß, Inspirationsquellen für die rotweiß-karierte Rakete aus „Reiseziel Mond“ oder die Klosterruine aus „Die schwarze Insel“ aufzunehmen. Er hat erkennbar gut recherchiert, vor allem, was Hergés Kindheit angeht, die immer schon geheimnisumwittert war. Sein angebliche illegitime Abstammung aus dem belgischen Königshaus wird ebenso Teil der Handlung wie die nervenschwache Mutter oder der Onkel, der ihn als Knaben missbraucht haben soll.

Aber das alles sind Randphänomene, die jeder Comic-Biograph gern einbaut. Interessanter ist die Psychologie des Geschehens, das seinen Mittelpunkt in Hergés kinderloser Ehe hat. Auch dafür gibt es eine Erklärung im Geiste der Comics jener Zeit, aber wie Colonnier den Kinderwunsch von Hergés Frau Germaine gegen die neue Freundschaft zu Zhang setzt, das erst macht die Spannung aus, die schließlich jene homoerotischen Anwandlungen hervorbringt, die der Band auch zum Gegenstand hat. Da ist nicht banal phantasiert, sondern äußerst klug konstruiert. Man nehme nur den Untertitel „Une histoire d’amour au vingtième siécle“ (Eine Liebesgeschichte im zwanzigsten Jahrhundert), der so schön mit dem Namen der Zeitung, für die Hergé arbeitete, spielt.

Die Geschichte selbst ist schwarzweiß laviert gehalten, und obwohl man Hergé uund Chang sofort erkennt, wenn man Bilder jener Jahre vor Augen hat, sind die Zeichnungen etwas statisch. Mit Ligne claire haben sie erfreulicherweise nichts zu tun, dafür werden sehr stimmungsvolle Brüssel-Ansichten geboten, vor allem von der Weltausstellung 1935, auf der ein Unfall geschah, den Colonnier zum Angelpunkt seiner Handlung macht.

Und wenn die Fondation Hergé erkennen sollte, dass man es hier nicht mit einem spekulativen Skandal-Comic zu tun hat, sondern mit einer liebevollen Abenteuererzählung, dann wird sie Colonnier keien Steine in den Weg legen, wenn er einen zweiten Band folgen lässt. Denn Zhang und Hergé, die sich 1935 nach der Abreise des Chinesen (die nun auch eine dramatische Erklärung findet) mehr als vier Jahrzehnte lang nicht mehr sehen sollten, trafen 1981, zwei Jahre vor dem Tod des Belgiers, noch einmal zusammen. Und „Tim in Tibet“, das 1958 gezeichnete legendäre Album, bietet eine Hommage an diese Freundschaft, die Hergé selbst retrospektiv zum Höhepunkt seiner Arbeit erklärte. Weil es eine echte Liebesgeschichte gewesen sei. Den Fernsehauftritt der siebziger Jahre, in dem Hergé das sagte, montiert Colonnier in seine Handlung von 1935 ein. So liefert er auch die Erklärung für seine Handlung mit.