Comic

Comic

Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Der Sonnenbrillenantityp

Als Ted Benoit in den achtziger Jahren nach einer Hauptfigur für seine Comics suchte, zeichnete er einen smarten Herrn mit dunkler Sonnenbrille. In Frankreich versammelt nun ein Prachtband die Arbeiten Ted Benoits, die vor, neben und nach diesem „Ray Banana“ entstanden sind.

Ein Teufelskerl, dieser Thierry Benoit, der sich als Zeichner „Ted Benoit“ nennt. Einer, der wie sonst nur Yves Chaland Inbegriff des Retro-Comicstils der achtziger Jahre war (und der es, da er im Gegensatz zu Chaland noch lebt, auch weiterhin ist). Mit seinem Sammelband „Vers la ligne claire“ setzte er 1980 den erst wenige Jahre zuvor von Joost Swarte geprägten Begriff durch, der seitdem die Kunst von Hergé und dessen Nachfolgern beschreibt. 65 Jahre ist er mittlerweile alt, und als seine große Zeit anbrach, mit „Vers la ligne claire“, war er auch schon 32 und damit älter als seine Generationsgenossen, die damals die Heroen und den Stil der Fünfziger wiederentdeckten.

„Vers la ligne claire“ ist Legende, auch wenn der Band sich nicht besonders gut verkauft hat. Übersetzt ins Deutsche wurde er nie, obwohl Ted Benoit mit „Ray Banana“, seiner berühmtesten Serie, auf Deutsch erst beim kurzlebigen, aber umso ambitionierteren Comicprogramm des Taschen Verlags und dann bei Carlsen erschien. Aber auch das war kein großer kommerzieller Erfolg, nicht einmal in Frankreich. Und dennoch ist der sonnenbebrillte Ray Banana, dessen Zeichner genau den entgegengesetzten Typ verkörpert, der Inbegriff des coolen Comichelden geworden.

Deshalb schmückt er (obwohl er kaum darin vorkommt)  auch das Titelbild – https://www.champaka.be/books/benoit/camera-obscura-vers-la-ligne-claire-et-retour – eines der schönsten Comicbände der letzten Jahre: „Camera obscura“, erschienen beim Brüsseler Champaka Verlag, der in der Hochzeit von Ted Benoits vor einem Vierteljahrhundert das Stammhaus der Nouvelle Ligne Claire war. Und entsprechend schön ist dieser großformatige Band geworden. Dabei ist er eigentlich „nur“ eine erweiterte Neuausgabe von „Vers la ligne claire“.

Allerdings eine, die das ursprünglich klassische 48 Seiten umfassende Album mit einem Schlag auf nunmehr 220 erweitert, indem Arbeiten von 1967 bis 2007 ergänzt werden, wobei das Hauptgewicht auf den siebziger und achtziger Jahren liegt. Die „Ray Banana“-Comics fehlen, aber nun ist endlich „C’était dans le journal“ wieder greifbar, eine Serie von Einzelillustrationen zu Schreckensmeldungen aus Zeitungen, die 1986 nur in Winzauflage erschienen war. Oder die illustrierte Erzählung „L‘Homme qui ne transpirait pas“, die allerdings unter Unschärfe bei der Reproduktion der Begleitbilder leidet.

Das Gros der Seiten ist schwarzweiß, was der klaren Linie sehr zugute kommt, aber es bleibt auch genug Farbe des begnadeten Koloristen Ted Benoit im Spiel. Das Buch enthält sogar ein paar ironische konzeptkünstlerische Ansätze, die den Zeichner von einer ganz anderen Seite als gewohnt zeigen. Und wenn Ted Benoits Bild der Vierziger-Jahre-Gangsterfilmfigur Cody Jarrett tatsächlich von 1967 stammen sollte, wie es hier ausgewiesen wird, kann man darin die Einflüsse von Alex Raymond auf einen damals Zwanzigjährigen sehen – zu einer Zeit, als in Frankreich Reiser, Giraud, Franquin oder Gotlib den Ton angaben. Wie Ted Benoit dann von Raymond über den Underground  zu Hergé gelangt und die Ligne claire auf einen einsamen Höhepunkt führt, das ist eine ästhetische Bildungsgeschichte, die staunen macht.