Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Mord und Totschlag auf dem Bauernhof

Baru ist einer der Altmeister des französischen Comics. Doch in der Wahl seiner Stoffe ist keiner so wild wie er. Sein neuester Streich ist die Adaption eines brutalen Krimis von Jean Vautrin.

Wenn man die Bedeutung von Autoren an der Schnelligkeit messen wollte, mit der ihre Bücher ins Deutsche übersetzt werden, dann wäre Baru nunmehr von immenser Wichtigkeit. Gut, er ist auch immens wichtig, aber eher in Frankreich als in Deutschland. In seinem Heimatland wurde der 1947 geborene Sohn italienischer Einwanderer (in Wirklichkeit heißt er Hervé Barulea) mit dem höchsten aller Comicpreise, dem Grand Prix der Stadt Angoulême, ausgezeichnet, in Deutschland reichte es für nicht mal für sein Meisterwerk „Route de Soleil“ für den Max-und-Moritz-Preis.

Beim Großverlag Carlsen, der ihn zunächst verlegte, hat man Baru denn auch abgeschafft, doch in die klaffende Lücke ist die kleine Wuppertaler Edition 52 gestoßen, die bereits fünf Alben übersetzt hat. Das sechste ist jetzt gerade erschienen, und wo man sich bislang dazu oft mehrere Jahre Zeit ließ, ist der Abstand zum französischen Original diesmal auf nur wenige Wochen geschrumpft – sensationell. „Bleierne Hitze“ heißt der deutsche Band, im Original „Canicule“ (Hundstage). Und die Sache ist auf Deutsch so brandneu, dass ich nur eine französisch Leseproben gefunden habe: https://bd.casterman.com/prepub_detail.cfm?ID=43444.

Baru hat sowohl eigene Geschichten gezeichnet als auch Szenarios anderer Autoren verwendet. Und seit einigen Jahren ist er auch mit Literatur-Adaptionen aufgefallen, erst mit „Elende Helden“ nach einer Vorlage von Pierre Belot, nun mit einem Stoff, den Jean Vautrin, einer der Meister des französischen Krimis, schon 1982 publiziert hatte. Zwei Jahre später wurde das Buch verfilmt, in Deutschland lief das Resultat in den Kinos  unter dem Titel „Dog Day – Ein Mann wird gejagt“. Und das trifft die Sache gut.

Denn es geht um Jimmy Cobb, einen amerikanischen Gangster, der in Frankreich sein Unwesen treibt. Von alteuropäischen Moralvorstellungen ist er nicht angekränkelt, weshalb er nach einem erfolgreichen Millionencoup alle Bandenmitglieder über die Klinge springen lässt. Das sieht man in Barus Comic nicht (aber keine Sorge, Blut fließt noch zur Genüge), stattdessen führt die erste Seite ins hitzeflirrende Getreidefeld, wo Cobb seine Beute versteckt.

Dabei beobachtet ihn Joachim, der ungeliebte uneheliche Sohn der Bauernfamilie, der das Feld gehört. Als der Knabe das Geld ausgräbt, leitet er eine Kette von Konflikten an, die Jimmy Cobb schließlich auf den Dachboden des Bauernhofs führt, wo er zum Spielball der familiären Konflikte wird. Klingt wie eine Komödie, ist es aber nicht. Vautrin erzählt stahlglatt und drastisch, und am Schluss sind nur wenige Protagonisten noch am Leben.

Baru war bei seiner Themenwahl nie zimperlich, doch hier erreicht die Brutalität ein Niveau, das im Autorencomic ungewöhnlich ist. Wobei Jacques Tardi mit seinen erfolgreichen Adaptionen der Krimis von Jean-Patrick Manchette die Latte schon ziemlich hoch gelegt hatte. Tardi war es auch, der als erster Comiczeichner ein Buch von Jean Vautrin in Bilder gesetzt hat: „Le Cri du peuple“, auf deutsch „Die Macht des Volkes“. Das war ein historischer Roman über die Pariser Kommune, in „Bleierne Zeit“ geht es dagegen ums ländliche Frankreich der späten siebziger Jahre.

Der amerikanische Mörder ist eine Lachnummer für die Franzosen, und aus der Konfrontation des Fremden mit einer eingeschworenen, sich untereinander aber spinnefeindlichen Gemeinschaft entsteht der Sog des Comics. Und Baru findet mit seiner Aquarelliertechnik (die Computerexperimente, die er beim Kolorieren von „Wut im Bauch“ angestellt hatte, sind passé) genau die richtige Farbstimmung für die wutentbrannte Stimmung des Albums. Da zieht sich ein ganzer Regenbogen aggressiver Farben über die Gesichter – und man muss leider sagen, dass diese Farbgebung im französischen Original, das auf glatterem Papier gedruckt ist, intensiver ist als in der auch etwas kleinformatigeren deutschen Fassung.

Aber was für ein Segen, dass es die deutsche Übersetzung gibt! Denn Vautrin und Baru lassen die Figuren einen Dialekt reden, der mit halbwegs normalen Französischkenntnissen nicht mehr zu entschlüsseln ist. Der Übersetzer Uwe Löhmann hat diesen Ton gemildert, auch mildern müssen, denn sonst wären die Dialoge nur in einem deutschen Dialekt auszudrücken gewesen, und das wäre albern angesichts des Schauplatzes in der französischen Provinz.

Und was für eine Dynamik, die der fünfundsechzigjährige Baru in seine Bilder legt! Er knüpft wieder bei den Körper-Verformungen aus seinem ersten großen Erfolg, „Quequette Blues“ aus den achtziger Jahren, an. Und wenn er einen Betrunkenen nachts aufwachen lässt, dann zeichnet er das Dekor, als würde der Mann es so sehen: schwankend, haltlos, verfließend. „Bleierne Zeit“ ist ein graphisches Fest – wenn Sie gute Nerven haben.