Comic

Comic

Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

So entsteht die Welt, so vergeht sie

Einmal mythisch, einmal außerirdisch, aber beide Male in den Motiven tiefreligiös fundiert: Max Baitinger adaptiert die „Edda“, Jesse Jacobs variiert die Bibel.

Seit Jens Harder „Alpha“ gezeichnet hat, seinen Evolutionscomic, der nun bald mit dem Band „Beta“ fortgesetzt werden kann, wissen wir, dass der Comic auch Bilder für das finden kann, was sich eigentlich jeder Beschreibung entzieht, weil es unser Begriffsvermögen übersteigt. Aber eben nicht unser Vorstellungsvermögen. „Alpha“ erzählte von Anbeginn des Universums an, vom Urknall weg bis zum Entstehen des Menschen. Dort wird „Beta“ wieder einsetzten. Und einige andere Comics tun es auch.

Denn in den religiösen Weltentstehungsgeschichten steht der Mensch im Zentrum. In der Bibel ist er Abschluss der Schöpfung, und das was vorher war, interessiert nicht. So zeichnete es denn auch Robert Crumb in seiner Version der „Genesis“, die vor zwei Jahren herauskam. Nicht, dass Crumb gläubig wäre, aber der Job war gut bezahlt, und so nahm er sich des Bibelstoffes an, als sei es eben irgendeine Vorlage, die nun möglichst brillant als Comic umgesetzt werden sollte.

Für den Deutschen Max Baitinger und den Kanadier Jesse Jacobs sind ihre Ausgangstexte dagegen alles andere als „irgendeine Vorlage“. Der einunddreißigjährige Baitinger hat nach Motiven aus der „Edda“, also der nordischen Mythologie, seinen Comic „Heimdall“ (Anschauung unter https://www.rotopolpress.de/produkte/heimdall) gezeichnet, der wohl noch etwas jüngere Jacobs (der aus seinem genauen Alter ein Geheimnis macht) unter starker Nutzung von biblischen Motiven seine Schöpfungsgeschichte „Hieran sollst du ihn erkennen“ (https://www.rotopolpress.de/produkte/hieran-sollst-du-ihn-erkennen). Beide Bände sind beim Kasseler Verlag Rotopolpress erschienen, der sich anschickt, zu einer der interessantesten Adressen für Comics in Deutschland zu werden.

Programm ist die gleichzeitige Publikation wohl nicht, aber gewiss Ausweis eines offenkundig intensiven Interesses an mythisch-religiösen Stoffen, das sich auch schon in Markus Färbers „Reprobus“ gezeigt hatte, einem Comic, der 2012 bei Rotopolpress erschienen ist und die verschiedenen Überlieferungen der Christopherus-Figur zum Gegenstand hatte (dieses Buch ist gerade von der Stiftung Buchkunst als eines der schönsten des vergangenen Jahres ausgewählt worden). Jacobs dagegen nimmt sich die Geschichte von Adam und Eva sowie deren Söhnen Kain und Abel vor, wenn er davon erzählt, wie die Menschen in die Welt gekommen sind. Allerdings hat sie kein Gott geschaffen, sondern ein Außerirdischer namens Ablavar.

Der befindet sich im kreativen Wettstreit mit seinem Konkurrenten Zantek um die Gunst ihres Lehrmeisters, des „Beraters“. Zantek schafft geometrisch ausgefeilte Strukturen, Ablavar das chaotische Leben, wie wir es kennen. Dabei hält er die Evolutionsabfolge ein, bis es zu den Menschen kommt. Wobei diese von ihm als friedliche Wesen gedacht waren, ehe der neidische Zantek damit beginnt, das Böse in Ablavars Welt zu bringen.

Die eschatologische Geschichte ist in einem Stil gehalten, der zwischen Jim Woodring und James Kochalka liegt – amerikanischer Independent-Comic wie aus dem Bilderbuch. Aber Jacobs nutzt die Möglichkeiten der Seitenarchitektur für spektakuläre Bildabfolgen, und seine übermenschlichen Akteure könnten eher einem Comic von Moebius entstammen als dem eher bodenständigen Stoff, dessen sich amerikanische Zeichner bedienen. Der zweifarbige Druck (lila und türkis) tut ein Übriges, um diesem Comic eine ungewöhnliche Optik zu verschaffen, die dem einfalls- und geistreichen Geschehen gerecht wird.

Ganz anders geht Max Baitinger vor. Seine Vorbilder sind erkennbar Mark Beyer und der Katalane Max. Aus Beyers Comic-Strip „Amy and Jordan“  hat er die Liebe zu schwarzweißen Arrangements übernommen, die mit der Variation von Dreiecken, Quadraten, Rauten, Kegeln und Kreisen ein geometrisches Spiel treiben, das in Seitenarchitekturen resultiert, die  den Eindruck größter Geplantheit vermitteln. Max wiederum steht Pate für die prinzipielle Niedlichkeit der Figuren, die aus Rückgriffen auf die Comictradition resultiert, aber nichts über den Charakter der Protagonisten aussagt. Im Gegenteil: Odin, Thor und der Titelheld Heimdall sind alles andere als niedlich. Sie lenken die Geschicke des Kosmos und leiten Ragnarök ein, das Armageddon der „Edda“, in dem alles Leben untergeht und neu entsteht.

Die britische Schriftstellerin Antonia S. Byatt hat kürzlich erst den „Ragnarök“-Mythos nacherzählt. Wo sie in wunderbar moderner Sprach nahe an der „Edda“ bleibt, nimmt Baitinger die Vorlage als Anregung für ein Exerzitium der Zeichnens. Die zyklische Struktur des Weltmodells der „Edda“ wird zum Vorbild für ein graphisch grandios umgesetztes Spiel mit piktogrammatisch aufgefassten Akteuren, die auf statische Formen beschränkt werden, in die der Leser dann sein Wissen ums Weltgeschehen hineinzuprojizieren hat. Eine solch ebenso kluge wie gewagte Publikation hätte man bislang bestenfalls den Zeichnern rund um das französische Verlagshaus L’Association zugetraut, nicht einem deutschen Neuling. „Heimdall“ ist das entscheidende Quentchen intelligenter als der optisch erst einmal eindrucksvollere Band „Hieran sollst du ihn erkennen“. Unbedingt empfehlenswert sind beide.