Vorsicht: Bei diesem Comic bin ich Partei. Ich werde im Vorwort ungebührlich gelobt, und es gibt sogar einen kleinen Gastauftritt von mir als Comicfigur. Hübsch, wenn man auf diese Weise einmal ins achtzehnte Jahrhundert kommt. Für beides kann ich aber nur insofern etwas, als ich vor langer Zeit erste Comicseiten des Zeichners Alexis Martinez gesehen hatte, für die Gunther Brodhecker die Texte geschrieben hatte. Diese Proben waren schön, also fragte ich die beiden, ob sie so etwas nicht für die F.A.Z. machen könnten.
Zuvor hatte ich von ihnen noch nie etwas gehört, was kein Wunder war, denn beide waren in dem, was man Comicszene nennt, gar nicht aktiv. Ihre Zusammenarbeit war aus reinem Spaß an Comics entstanden, planlos, aber eben sehr geglückt. Wobei ich zugeben muss, dass mir ein zweiter Erzählungsstrang, der sich um einen jüdischen Rückkehrer ins heutige Frankfurt drehte, noch besser gefallen hatte als die Abenteuergeschichte „Ricardo Castillo“. Letztere war eher im Stil von Robert Crumb gehalten, Erstere dagegen reine Ligne claire. Ich mag beides, aber Ligne claire ist schwieriger. Also interessiert sie mich mehr.
Das Herz des Comic-Duos aber hing an Castillo, auch er ein Jude, der die Heimat hatte verlassen müssen, nachdem man seine Familie ermordet und sein Haus abgebrannt hatte, und ins damals noch sehr ferne Kanada geflohen war, wo er fortan als Trapper im langen Winter agiert. Dort trifft er auf allerlei Pioniere, lauter Sonderlinge, und auf vielfältige Herausforderungen. Natürlich ist das auch ein guter Stoff. Also sollte es doch „Castillo“ werden.
Als Kompensation legte Alexis Martinez seine Zeichnungen nun aber nicht mehr à la Crumb, sondern in Ligne claire an, und das war ein Geniestreich, denn es stellt sich sofort ein „Tim und Struppi“-Gefühl an, das jedem Abenteuercomic gut tut, weil es adäquate Stimmung schafft. Gleichzeitig sind die Konturen der Figuren viel dicker als bei Hergé, ist die Seitenarchitektur der querformatigen Episoden extrem abwechslungsreich – keine Rede von der sonst in diesem Stil eher üblichen kompositorischen Strenge. Hier wird viel mehr in eine eindeutig definierte Stilform hineingeholt als sonst üblich.
Das alles ist gegenüber der Zeitungspublikation noch einmal umgearbeitet und perfektioniert worden, aber das Querformat in Schwarzweiß haben die beiden Autoren beibehalten und das Ganze nun in einen hocheleganten Leinenband gepackt. Das konnten sie, weil sie ihre Serie selbst verlegt haben (https://www.m-b-verlag.de/). Ein großes Haus konnten sie nicht dafür begeistern – das zeigt, wie engstirnig hierzulande immer noch gedacht wird, gerade wenn es einmal etwas Hochprofessionelles im Angebot gibt. Und etwas Hochunterhaltsames. „Das Tagebuch des Ricardo Castillo“ muss man einfach lieben. Lesen natürlich sowieso.