Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Schwarz wie das Leben

Thomas Ott ist der Meister des düsteren Comics: graphisch wie erzählerisch. In „Dark Country“ treibt er seine Kunst auf die Spitze.

Oft könnte man meinen, das Amerikabild europäischer Künstler wäre besonders düster, weil sie keine Anschauung über das Land hätten. Thomas Ott, geboren 1966 in der Schweiz, tritt mit seiner Bildergeschichte „Dark Country“ den Gegenbeweis an, obwohl auch er nicht in den Vereinigten Staaten lebt. Schwärzer kann man kaum erzählen, aber das Szenario zu seinem Comic stammt von einem Amerikaner, dem Schriftsteller Tab Murphy.

Der hatte seine Vorlage für den amerikanischen Comicverlag Raw Studios angefertigt, doch da dieses Unternehmen von einem Schauspieler geleitet wird, von Thomas Jane, erkannte dieser sofort das Potential des Stoffs für eine Verfilmung, und so wurde aus „Dark Country“ 2009 erst einmal ein Film, den Jane selbst gedreht hat und darin auch die Hauptrolle spielt: einen Mann, der auf seiner Hochzeitsreise im Mittleren Westen nachts einen Menschen überfährt, wodurch eine Kette von Ereignissen ausgelöst wird, die sich zu einem Thriller zwischen Psycho und Horror auswächst.

Doch Jane ist auch ein Fan von Thomas Ott. Keine Kunst, denn der Zeichner genießt in den Vereinigten Staaten einen gigantischen Ruf. Seine Bildersprache, geprägt von der Schabetechnik, bei der auf einer mit schwarzer Farbe beschichteten Pappfläche mittels eines Schabeisens der weiße Grund freigekratzt wird (also nicht Schwarz auf Weiß, sondern Weiß aus Schwarz), liefert genau die richtige Stimmung für die düsteren Geschichten, die Ott faszinieren – und seine Leser mit ihm. Wer sich einen Eindruck von seiner Arbeit verschaffen will, ist auf https://www.tott.ch/ gut aufgehoben, wobei da das neue Buch noch fehlt.

Nun muss man die Rede von „Lesern“ mit Bedacht wählen. Ott arbeitet prinzipiell ohne Worte. Das hatten wir an dieser Stelle vor zwei Wochen schon einmal, bei der jungen Französin Marion Fayolle und ihrem Band „L’Homme en pièces“, aber sie setzt auf bunte Personen vor rein weißen Hintergründen. Man sieht: Das wortlose Comicerzählen hat Konjunktur, und es hat eine genauso breite Vielfalt zu bieten wie das klassische mit Sprechblasen. Thomas Ott aber ist ohne Zweifel ein Pionier dieser Richtung.

Als Jane ihm Murphys Szenario zuschickte, war der Schweizer Zeichner sofort begeistert und machte sich an die Arbeit – ohne sich den darauf basierenden Film anzusehen, um ganz frei in seinen Bildlösungen zu sein. Herausgekommen ist ein in jeder Hinsicht irres Stück graphischer Literatur, das nicht nur den Protagonisten, sondern auch die Betrachter auf eine Achterbahn des Grauens schickt. Da auch ich den Film „Dark Country“ nicht kenne, steht mir ein Urteil über dessen Qualität nicht zu, aber die ständigen Perspektiv- und Panelformatwechsel, die Ott wählt, schaffen eine der Handlung derart kongeniale Irritation, dass es mir unmöglich scheint, etwas Vergleichbares mit den Mitteln einer anderen Erzählform als der des Comics hinzubekommen.

Es dürfte klar geworden sein, dass diese Geschichte nichts für schwache Nerven ist. Otts Gebrauch der Schabetechnik treibt deren Düsternispotential auf die Spitze, während etwa seine deutsche Kollegin Line Hoven mit ähnlicher Akribie im selben Handwerk federleichte Motive schafft. Es ist kaum etwas Spannenderes denkbar als der Vergleich zweier derart verwandter und doch ganz unterschiedlich erzählender Künstler. Oder doch: „Dark Country“ ist noch spannender.