Es beginnt mit dem Nachruhm. Steffen Kverneland besucht mit seinem Comiczeichnerkollegen Lars Fiske das Munch-Museum in Oslo. Wir kennen die zwei Norweger, auch als Figuren aus eigener Hand, denn beide zusammen haben vor ein paar Jahren eine Olaf-Gulbransson-Biographie gezeichnet, von der ich allerdings nicht ehr begeistert war. Nun hat der Avant Verlag, der auch schon das Gulbransson-Buch publizierte, ihre jeweils neuen Soloalben übersetzen, beides wieder Künstlerbiographien. Fiske hat sich des Dada-Gurus Kurt Schwitters angenommen, Kverneland blieb mit Munch in heimischen Gefilden.
Und doch bieten beide Comic-Biographien auch die Fortsetzung der Geschichte des Künstlergespanns Fiske/Kverneland. Schon bei „Gulbransson“ gehörte ein großer Teil des Inhalts den Schilderungen der Recherchen des Duos, inklusive diverser Saufexzesse. Das ist nun wieder so (die Recherchen wie das Saufen). Jeweils der andere Zeichner spielt eine prominente Rolle im Band des Kollegen, denn wieder wird auch erzählt, wie das Buch zustande kam. Vor allem aber kann man so die eigenen Reflexionen zu Schwitters beziehungsweise Munch aus dem eigentlichen biographischen Teil heraushalten. Geschickte Taktik.
Doch bei Munch gelingt alles das entscheidende Quentchen besser. Das liegt vor allem am Zeichenstil. Fiske ist der Kubist von beiden, seine Figuren sind eckig, stilisiert, und das war schon bei „Gulbransson“ angesichts des Linienschwungs ihres biographischen Gegenstand ein echtes Problem. Bei Schwitters fällt das nicht so ins Gewicht, aber es ist immer heikel, eine Kunst gegen die andere zu setzen. Fiske ist also zu individuell für seine Aufgabe, gleichzeitig aber auch nicht brillant genug in seinem Handwerk, um diesen Einwand nachrangig zu machen.
Kverneland dagegen ist der Realist im Duo. Das sieht man besonders in der Rahmenhandlung, die ihn und Fiske auf Munchs Spuren begleitet. Da zeichnet er fast wie Gerhard Haderer, betont also bei physiognomischer Exaktheit die hässlichen Seiten der Figuren (eine Leseprobe: https://www.avant-verlag.de/comic/munch). Es ehrt ihn, dass für die eigentlichen Munch-Passagen dann ein anderer Stil zum Einsatz kommt, der weniger karikaturesk ist, obwohl hier die Köpfe im Verhältnis zum Körper überbetont werden und auch eine Tendenz zur kubistischen Behandlung haben, vor allem im Fall von Munchs Freund August Strindberg.
Jedenfalls ist Kverneland der Versuchung entgangen, Munchs Stil zu imitieren, wobei er zahllose Gemälde und Zeichnungen adaptiert und ins Geschehen einbaut, aber eben als das, was sie sind: die realen Bilder. Ansonsten übernimmt er Kompositionen und Farbverhältnisse von Munch, weist das aber jeweils akribisch aus – das Quellenverzeichnis für diese Vorbilder und die im Text enthaltenen Zitate füllt allein zwei Seiten.
Es muss eine Heidenarbeit gewesen sein, diese 270 Seiten lange Lebens- und Leidensgeschichte zu recherchieren. Sie wird auch nicht streng chronologisch erzählt, sondern beginnt mit dem internationalen Durchbruch Munchs 1892 in Berlin, was aber auch berechtigt ist, denn die deutschen Jahre wurden für den Norweger zu den entscheidenden. Erst später enthüllt Kverneland dann die biographischen Unglücke in Kindheit und Jugend, die die düsteren Töne der berühmten Bilder ausgelöst haben – von den konkreten Konstellationen der Bilder ganz zu schweigen.
Wer also einen anschaulichen Schnellkurs über Edvard Munch, aber auch die Ästhetik und das Künstlerleben seiner Epoche haben will, der dürfte hier glücklich werden, wobei die Sache angesichts des Umfangs so schnell gar nicht lesbar ist. Aber da Kverneland auch gut abzuwägen weiß zwischen Tragik und Burleske, das Ganze immer wieder auflockert durch die Rechercheberichte mit Fiske (wobei man sich fragt, wie dabei jemals etwas herauskommen konnte), und noch dazu eine höchst abwechslungsreiche Seitenarchitektur beherrscht, so dass jedes Umblättern Überraschungen birgt, kann man dieses Buch – auch vor dem Hintergrund schaurig geratener Comicbiographien wie der über Willy Brandt – nur empfehlen.