Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Der Louvre sorgt für soziale Gerechtigkeit

In seiner Reihe von eigens in Auftrag gegebenen Comics hat der Louvre nun auch seine Niederlassung im nordfranzösischen Lens zum Schauplatz einer Geschichte werden lassen. Mystisch geht dabei die Industriegesellschaft zugrunde.

Seit etwas mehr als einem Jahr hat der Louvre eine Außenstelle in der Stadt Lens, in Frankreichs armem Departement Pas de Calais, ganz hoch im Norden. Man baute die Dependance auf dem Gelände einer stillgelegten Zeche und hat sich dabei augenscheinlich einiges von der kulturellen Umnutzung der ehemaligen Kohleabbaugebiete im Ruhrgebiet abgeguckt. Womit die deutschen Vorbilder allerdings nicht mithalten können, ist die Qualität der ausgestellten Kunst. Wie ernst man in Frankreich nach jahrhundertelangem Zentralismus nun die kulturelle Förderung der Provinz nimmt, zeigt sich schon darin, dass mit Eugène Delacroix‘ „Die Freiheit führt das Volk“ eines der berühmtesten Bilder aus dem Louvre-Bestand den Weg an die belgische Grenze antrat.

Kulturelle Breitenwirkung ist auch das Ziel einer vor einigen Jahren vom Louvre in Zusammenarbeit mit dem früheren Avantgarde-Verlag Futuropolis  etablierten Comicreihe, deren Geschichten sämtlich in dem Pariser Museum spielen. Oder besser gesagt: spielten. Denn der jüngste Band hat nun die Niederlassung in Lens zur Kulisse.  Einige der berühmtesten französischen Zeichner konnten schon für die Éditions Louvre gewonnen werden, darunter Nicolas de Crécy, Marc-Antoine Mathieu, David Prudhomme, Bernard Hislaire oder sogar Enki Bilal (der allerdings kurzerhand eine eigens für den Louvre geschaffene Bilderserie als Katalog in der Reihe publizierte). Und nun Philippe Dupuy, eine Hälfte des mittlerweile zerfallenen Comic-Duos Dupuy & Berberian.

Frauen hatten es bislang noch nicht in die Serie geschafft, doch auch das hat der neue Band namens „L’Art du chevalement“ (vielleicht am besten mit  Die Kunst der Förderung zu übersetzen) geändert. Denn wenn Dupuy zeichnet, stammt die Geschichte in jüngster Zeit meist von Loo Hui Phang, einer 1974 in Laos geborenen, aber in Frankreich aufgewachsenen Schriftstellerin. Mit ihr hat sich Dupuy vom komischen Erzählstil, der seine in Zusammenarbeit mit Charles Berberian entstandene Erfolgsserie „Monsieur Jean“ geprägt hatte, zum poetischen Zeichner gewandelt – der er in den gemeinsam mit Berberian geschaffenen Stadtporträts auch schon einmal war, doch nun hat er einen geradezu elegischen Strich entwickelt, der die früher charakteristische dicke Kontur durch federleichte Linien ersetzt (https://www.futuropolis.fr/planche.php?id_article=790313).

Dadurch ist der Stil aber auch banaler geworden, was man schon am 430-Seiten-Comic „Les Enfants pâles“ bemerkte, den Dupuy 2012 zusammen mit Loo Hui Phang herausgebracht hat. Oder sagen wir: Dieser Stil ist gefälliger, blasser (nicht nur der bleichen Kinder wegen), arg gefühlig. Das passt jedoch gut zu der Louvre-Lens-Geschichte, die von dem Minenarbeiter Orféo (anspielungsreicher geht es im Untergrund natürlich nicht) erzählt, der das erblindete Grubenpferd Pigeon (Taube) an die Erdoberfläche führen soll, wo das Gnadenbrot auf den ausgelaugten Gaul wartet.

So weit, so trist. Oben aber wartet auch der neu errichtete Louvre mit seinen Kunstwerken auf die beiden Schwerarbeiter. Phang und Dupuy konstruieren ein Phantasma, denn die Verwendung eines Grubenpferds spricht für eine Handlungszeit, die etliche Jahrzehnte vor der Gegenwart liegt, und so sehen denn auch die Arbeitsbedingungen von Orféo aus. Der Louvre ist also eine Vision, und dementsprechend ist er leer – bis auf die Kunstwerke, die mit Bergmann und Pferd ein Gespräch anfangen und die emanzipative Kraft des Schönen feiern. Bald weiß Orféo nicht mehr, wie ihm geschieht, und über etliche ästhetische Sensationen bekommen wir auf à la Prousts „mémoire involontaire“ auch die Vergangenheit des jungen Mannes erzählt.

Am Schluss ist er davon überzeugt worden, dass er sein Schicksal selbst in die Hand nehmen muss, um nicht am Niedergang des Bergbaus (der durch das arme Pferd symbolisiert wird) zu verzweifeln. Die Botschaft ist schlicht, das Ende auch, das aber immerhin auf zwei Seiten einen Streifzug durch den Louvre Lens bietet, jetzt von etlichen Besuchern belebt, darunter auch der mittlerweile greise, aber glückliche Orféo. Und ganz hinten sieht man auch „Die Freiheit führt das Volk“ hängen – ein revolutionäres Bild, dessen Aussage hier umgeformt wird zu „Die Kunst führt das Volk“. Wo früher geschuftet wurde, wird heute Kultur genossen. Ob Frankreich in seiner aktuellen sozioökonomischen Krise darin Trost findet, darf man bezweifeln. Der hübsch anzusehende Comic hinterlässt ein schales Gefühl.