Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Packen Sie diesen Comic vorsichtig aus!

Man könnte meinen, mit Comics wäre schon alles angestellt worden. Florent Ruppert und Jérôme Mulot beweisen das Gegenteil: mit einer Bastelarbeit, wie man sie noch nie gesehen, geschweige denn gelesen hat.

Geschenkverpackungen sind Kunstwerke, die sich beim Gebrauch selbst zerstören: Nach dem Auspacken ist das Meisterwerk weg. Diesem Prinzip folgen die beiden jungen französischen Comiczeichner Florent Ruppert und Jérôme Mulot in ihrem neuesten Werk, das konsequenterweise auch „Le Cadeau“ (das Geschenk) heißt. Es erzählt nicht nur von einem Geschenk, es muss auch von seiner Verpackung befreit werden.

Oder sagen wir besser, es muss entblättert werden. Also nicht umgeblättert. Die Sache sieht so aus: In einen dicken Karton ist ein Quadrat eingestanzt, in das Ruppert & Mulot, wie sich das Duo knapp nennt, übereinander jeweils Einzelzeichnungen haben einkleben lassen. Allerdings an allen vier Seiten, so dass man nicht einfach loslesen kann. Um der Geschichte zu folgen, muss man also das jeweils gerade oben liegende Panel zerstören, um darunter weiterlesen zu können.

Ganz kaputt gehen die Bilder indes nicht. Denn jedes einzelne (bis aufs letzte natürlich) sind mit Perforationen versehen, entlang derer man die Blätter aufreißen und die entstehenden Fragmente hochklappen kann, so dass sich mit der Zeit – es sind insgesamt 32 Panels – ein wilder Papierstrauß ergibt, in dessen Mitte man immer weiter liest (einen Eindruck, wie das aussieht, bekommt man hier: https://www.google.de/imgres?imgurl=https://www.actuabd.com/IMG/jpg/Ruppert-Mulot-Cadeau-Fini-Nov2013.jpg&imgrefurl=https://www.actuabd.com/Un-Cadeau-le-happening-de-Ruppert&h=389&w=450&sz=64&tbnid=r8EC0K8CWPNb4M:&tbnh=91&tbnw=105&zoom=1&usg=__Wl2p2CF41ZQ4ztqjSJzDT_r8Xpw=&docid=WeN1sz_d-4vpBM&sa=X&ei=-cDrUs_ODYarhAfq5oHgDg&ved=0CEQQ9QEwAw&dur=792). Am Schluss kann man mit etwas Geduld das Ganze wieder zurückklappen, sofern man die richtige Reihenfolge beachtet, und man hat ein zwar nunmehr aufgerissenes, aber doch noch komplettes kleines Album.

Das ist ein höchst originelle Verfahren, und mit dieser Arbeit machen Ruppert & Mulot das Debakel wieder gut, das sie mit ihrem gemeinsam mit Bastien Vivès erstellten Album „Die große Odaliske“ angerichtet hatten, über das ich mich erst kürzlich erregt habe. Dort war alles Klischee, hier ist alles neu. Nur nicht der Zeichenstil, den man von dem Duo kennt, das sich gern auf einfache schwarzweiße Umrisszeichnungen und Figuren beschränkt, die keine individuellen Züge tragen.

Was hier besonders gut passt, denn die beiden Protagonisten, zwei Pathologen, treiben einen bösen Schabernack und dürfen dabei nicht überrascht werden. Die Anonymität der Figuren trägt zu dieser Stimmung des Verbotenen bei. Die zwei Ärzte sind am Heiligen Abend in einem vorfeiertäglich stillen Krankenhaus mit einer weiblichen Leiche zugange, der einer der beiden ein Geschenkband aufgemalt hat. Es kommt, wie es kommen muss: Die Autopsie wird umfunktioniert zum Auspacken eines Geschenks, das der zuschauende Pathologe auf makabre Weise vorbereitet hat.

Das könnte man geschmacklos nennen, aber Ruppert & Mulot schaffen mit ihrem reduzierten Strich genug Distanz, um die Situation niemals als real zu empfinden. Und dann ist da der schwarze Humor der Geschichte, die in einem Debakel der besonderen Art mündet: schlichtweg brillant. Von der Spannung des Lesers beim Entblättern ganz zu schweigen. Und plötzlich merkt man, dass man selbst genau das macht, was gerade der Pathologe veranstaltet – eine Obduktion des Objekts. Wie er die Leiche immer weiter öffnet, so dringen wir in den Comic vor. Das ist regelrecht unheimlich.

Erschienen ist der Band bei L’Association, dem wegweisenden Autorencomicverlag aus Frankreich, der sich nach jahrelangen internen Querelen nunmehr wieder auf seine Stärken besinnen will. Einige seiner neuen Comics knüpfen da an, wo der Verlag früher seine Stärken hatte – das ist eher enttäuschend, weil L’Association stets fürs Allerneueste stand. Deshalb ist „Le Cadeau“ Grund zur Hoffnung auch für den Verlag. Wobei das Buchkunstwerk ein Leckerbissen für wenige bleiben wird, denn neunzehn Euro für zweiunddreißig Bilder sind viel Geld. Lohnen tut sich der Kauf aber unbedingt. Gerade als Geschenk.