Comic

Comic

Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Comic vom teuersten deutschen Künstler

Gerhard Richter war 1962 erst seit kurzer Zeit in der Bundesrepublik, da zeichnete (und stempelte) er einen Comic. Oder das, was Künstler für Comics halten. Jetzt kann man ihn erstmals lesen.

Wer das schmale, wunderschöne, in flexibles Leinen gebundene Bändchen sieht, wird es auf keinen Fall für einen Comic halten. Nur auf dem Buchrücken ist die kleine schwarze Silhouette eines Mannes mit breitem Hut zu sehen – ein Priester, ein Westernheld? Sonst außen kein Bild. Aber immerhin steht auf der Vorderseite als Titel „Comic Strip“. Sonst findet sich dort nur das Jahr der Entstehung – 1962 – und der Name des Zeichners, ein gewisser Gerd Richter.

Dieser Herr ist heute weltweit bekannt als Gerhard Richter. 1961, kurz vor dem Mauerbau, hatte er die DDR verlassen und sich an der Düsseldorfer Kunstakademie eingeschrieben. Heute ist er der teuerste lebende deutsche Künstler und der beste wohl auch, weil er eine Breite an Ausdrucksmitteln hat, die ihresgleichen sucht.  Dass der Comic mit dazugehörte, wusste man aber nicht.

Richter versprach sich – wie viele Autoren und Zeichner auch heute noch – von einem Comic die schnelle Mark. Erfolg hatte der damals Dreißigjährige noch keinen, aber schon in seiner Heimatstadt Dresden hatte er in den fünfziger Jahren Bildergeschichten mit solchen schwarzen Männern gezeichnet, wie jetzt einer den Buchrücken ziert. Daran knüpfte er an, und weil er inzwischen im Westen das Werk des gebürtigen Rumänen Saul Steinberg, der in den Vereinigten Staaten zum einfluss- und auch sonst reichsten Illustrator seiner Zeit aufgestiegen war, kennengelernt hatte, übernahm Richter von diesem Vorbild eine neue Technik: das Stempeln. Er schnitt seine Stehende Figur, den schwarzen Mann, in mehreren Posen als Stempel und gestaltete so seine neue Bildergeschichte. Zeiteffizient war die Arbeit also auch noch.

Einen Verlag dafür fand Richter seinerzeit aber nicht, und das ist kein Wunder, denn natürlich ist „Comic Strip“ nicht einfach ein Comic. Die Geschichte versammelt zahlreiche Elemente dessen, was damals in Steinbergs Nachfolge als avancierte gegenständliche Bildsprache in eine populäre Erzählform eingebracht wurde, die in Reinform noch niemand ernstzunehmen bereit war. Richter aber wollte ernstgenommen werden, das zeigt schon der lapidare Titel „Comic Strip“, der Allgemeingültigkeit für sein Buch beansprucht, und so ist ungeachtet des Stempelprinzips  immens viel Mühe in dieses Projekt geflossen. Auf 130 Seiten in einem Notizbuch versuchte Richter alles aus, was ihn am graphischen Erzählen interessierte.

Und das macht das Buch selbst so interessant, obwohl man die Handlung bestenfalls allegorisch als Darstellung eines individuellen Lebenswegs deuten kann (ein weiteres Vorbild dürfte Frans Masereels „Mein Stundenbuch“ von 1919 gewesen sein), auf dem man seine Eigensinnigkeit gegenüber der Masse und die eigenen Träume behaupten muß. Ein typisches Künstlerthema, ein typischer Künstlercomic.

Aber wie gesagt sind es die Mittel, nicht die Geschehnisse, die „Comic Strip“ lesens- oder besser: betrachtenswert machen. Die Textpassagen sind ohnehin nur selten lesbar, meist handelt es sich um eine Ornamentschrift, die gar keinen Sinn ergeben soll, auch das ein Steinberg-Einfluss. Richter selbst versicherte einem alten Freund in einem Brief: „Das liegt natürlich am Rande u. hat mit Kunst kaum etwas zu tun.“ Wobei das „kaum“ ein Hintertürchen offenlässt, und das es aus heutiger Sicht mit Kunst eine ganze Menge zu tun hat, liegt nicht nur am Ruhm Richters, sondern auch daran, dass der Comic viel offener für neue Formen geworden ist. Und dass wir ganz nebenbei auch den grandiosen Cartoonisten Richter kennenlernen.

Dass wir „Comic Strip“ nun in so wunderschöner Form lesen können, verdanken wir drei Beteiligten: dem Gerhard Richter Archiv in Dresden, das systematisch das Werk des Künstlers aufbereitet und dabei auf das vergessene Notizbuch stieß; der Buchhandlung Walther König, die ohnehin die gewagtesten Kunstpublikationen in Deutschland bietet und auf ein internationales Publikum zählen kann; und nicht zuletzt Gerhard Richter selbst, der einwilligte, dieses frühe Werk veröffentlichen zu lassen (https://gra.hypotheses.org/1161). Obwohl es mit 38 Euro recht kostspielig ist, wird es die Beteiligten  im Jahr 2014 immer noch nicht reich machen. Die Käufer schon eher, denn es ist eine sehr bereichernde Auskunft über Gerhard Richter, über das Image von Comic früher und heute und über graphische Möglichkeiten.