Sich dem Comic eines Freundes zu widmen, ist heikel, zumal wenn es einer ist, der vom Fach soviel versteht wie Dietmar Dath. Er hat jetzt ein Szenario namens „Mensch wie Gras wie“ geschrieben, das von dem bislang unbekannten Graphiker Oliver Scheibler in Bilder gesetzt worden ist, und schon die Tatsache, dass diese beiden sich gefunden haben, ist ein Glücksfall. Dass Dath dann aber offenbar auch noch sofort erkannt hat, was in Scheibler steckt, ist sensationell.
Denn ich muss zugeben, dass ich angesichts erster Probeseiten, die ich im vergangenen Jahr sah, nicht so überzeugt war wie der Autor. Aber er hat recht behalten. Was der 1972 geborene Zeichner leistet, ist enorm (Leseprobe: https://www.verbrecherverlag.de/files/Leseprobe_Dath_Scheibler_Mensch%20wie%20Gras.pdf), vor allem, was Scheiblers optischen Metaphern und die Seitenarchitektur angeht. Aber auch die Idee, den bösen Geist dieser Geschichte mit zwei unterschiedlichen Augen auszustatten (eine Pupille ist dreieckig – ein genialer Kunstgriff bei Schwarzweißdruck) und ihn so auf verschiedensten Zeitebenen und an den unterschiedlichsten Orten wiedererkennbar zu machen, ist Scheibler zu verdanken.
Die Story dagegen ist ganz typisch Dath. Es geht um eine Biologin, deren Pflanzenforschung die Welt verändern könnte. Deshalb sind etliche Leute hinter ihr her. Privates und Berufliches verbindet sich, als sie mit dem Informatiker Thomas in Japan einen Mann kennenlernt, der sie nicht nur über die gescheiterte Freundschaft mit dem transsexuell veranlagten Martin hinwegkommen lässt, sondern sie auch in ein Labor einführt, das ihr Forschungsmöglichkeiten bietet, von denen sie zuvor nur träumen konnte. Dass es bei diesem Glück nicht mit dem Rechten zugehen kann, wird niemanden überraschen.Der Stoff dokumentiert einmal mehr die Faszination von Dath für den biologischen Fortschritt und die Wirren der Liebe. Die hatte sich schon vor drei Jahren im Deutschen Nationaltheater Mannheim artikuliert, wo sein Stück „Regina oder Die Eichhörnchenküsse“ zur Uraufführung gekommen war, in vergleichbarer Konstellation, aber dort fast ganz auf die Laborsituation beschränkt. Bühne und Film erfordern eben großen Inszenierungsaufwand, der Comic dagegen kann auf einem Blatt Papier die grandiosesten Szenen bieten. Da ist eine Reise nach Japan kein Problem und ein Weltuntergang (oder doch eher ein Weltaufgang) mit ein paar Strichen zu bewerkstelligen (allerdings was für welchen!).
Scheibler und Dath mischen die Erzählrhythmen und -stile des Comics. Mal zeichnet Scheibler ohne Panelumrahmungen, mal setzt er seitengroße Einzelzeichnungen, er zoomt und variiert von Seite zu Seite. Dath wiederum schreibt nicht nur Dialoge, sondern auch längere Erzählpassagen, und genauso lässt er Platz für wortlose Stimmungssequenzen, besonders eindrucksvoll bei der Rekapitulation der Liebesbeziehung von Martin/Martina und der Biologin Elin, einem ausufernden Rausch der Gefühle und Drogen, der in den Abgrund führt und beide entzweit. Und immer wieder werden fast schon schematische Bilderfolgen integriert, die das vegetabile und das aseptisch-klinische Milieu kontrastieren, in dem sich Elin bewegt.
So etwas hat man noch nicht gesehen, und dass die Handlungsorte auf genauer Kenntnis genauso beruhen wie auf dramaturgischer Notwendigkeit (Frankfurt am Main gibt die prächtig-protzige Kulisse für die Machenschaften des bösen Geistes her, in Japan dagegen wird gerade hinter die Kulissen geblickt), hebt „Mensch wie Gras wie“ aus der Masse von Graphic Novels zusätzlich heraus. Der Titel ist übrigens ein Zitatfragment aus Jesaja 40,6, der berühmten, auch im „Deutschen Requiem“ von Brahms verwendeten Formulierung: „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras, und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blumen.“ Diese Vergänglichkeitsmahnung nimmt Dath wörtlich (und tröstlich).
Dass der Verbrecher Verlag, der kürzlich auf der Leipziger Buchmesse für sein Engagement den Kurt-Wolff-Preis erhalten hat, nun auch einen Comic verlegt hat, ist ein Signal, dass die Welle jetzt sogar die kleinen anspruchsvollen Verlage erreicht hat. Nun war Dath schon erster Autor des Verbrecher Verlags überhaupt; wie passend also, dass er nun auch dessen Comicdebüt als Szenarist bestreitet. Die Gestaltung des Buchs nimmt die klassische Verbrecher-Groteske als Typographie auf und hat auch in der Farbgebung des Umschlags klare Anklänge ans übrige literarische Programm zu bieten. So konsequent vom Autor über den Zeichner bis zum Verlag möchte man Comics öfter produziert sehen.
Selbst das umfangreiche (14 Seiten) Nachwort Daths, dessen Länge mich erst zweifeln ließ, ob damit nicht zu viel des Guten getan würde, erweist sich als wichtige Ergänzung dessen, was man zuvor gelesen hat. „Mensch wie Gras wie“ ist ein Glücksfall von der ersten bis zur zweihundertsechsten Seite.