Edgar Pierre Jacobs ist eine Legende des belgischen Comics, die zwar nicht dem Kleeblatt der schulbildenden Meister Hergé, Jijé und Franquin angehört, aber gewiss als einer der ersten in der zweiten Reihe gelten darf – was immer noch heißt: ein grandioser Künstler und Erzähler. Als Assistent Hergés begann er mitten im Zweiten Weltkrieg als Enddreißiger seine späte Karriere als Zeichner, und mit der Serie „Blake und Mortimer“ schuf er wenig später einen der langlebigsten Erfolge in der Comicgeschichte seiner Heimat.
Die Stichworte „späte Karriere“, „Zweiter Weltkrieg“, „Hergé“ und „Erfolg“ sind allemal schon interessant genug für eine biographische Beschäftigung mit dem 1904 geborenen Jacobs. Die ist vielfältig erfolgt, auch in Form seines eigenen Buchs „Opéra de papier“ – Jacobs war zunächst Opernsänger, und zwar an einigen der bedeutendsten französischsprachigen Häuser, unter anderem der Brüsseler Opéra de la Monnaie. Wie bei so vielen Biographien seiner Generation bedeutete der Krieg das Ende alter Hoffnungen.
Zugleich brachte der Krieg Jacobs über seinen Schul- und Lebensfreund Jacques van Melkebeke in den Kreis um Hergé, aber nach der Befreiung Belgiens im Jahr 1944 auch in den Geruch der Kollaboration. Hergé hatte zeitweise Berufsverbot, weil er „Tim und Struppi“ für die Besatzungsblätter weitergezeichnet hatte, van Melkebeke wurde gar zu vier Jahren Haft verurteilt, der er sich durch Flucht zu entziehen versuchte. Jacobs versteckte ihn zeitweise, ehe der Freund begnadigt wurde. Er selbst wurde nie angeklagt, litt aber mit den Weggefährten.
Das ist ein buntes Leben, und daraus einen Comic zu machen, sollte dem 1948 geborenen Szenaristen Rodolphe Daniel Jacquette und dem sieben Jahre jüngeren Zeichner Louis Alloing eigentlich Vergnügen bereitet haben. „La Marque Jacobs“ heißt der mehr als hundertseitige Band auf Französisch – eine Anspielung auf das berühmteste „Blake und Mortimer“-Album „La Marque jaune“ (deutsch „Das gelbe M“). Für die Übersetzung hat der Carlsen Verlag, deutsche Heimat der Comics von Jacobs, „Der Fall E.P. Jacobs“ als Titel gewählt, ein Verweis auf das Album „Der Fall Francis Blake“, was aber ziemlich daneben ist, weil dieser Comic aus dem Jahr 1996 stammt, als Jacobs schon seit neun Jahren tot war. Andere Autoren und Zeichner nahmen seine Serie auf und führten sie sehr erfolgreich fort. Aber gerade dieser Titel passt natürlich nicht zum Leben von Jacobs. Zumal von einem „Fall“ anders als etwa bei Hergé gar keine Rede sein kann.
Also Etikettenschwindel. Und leider ist auch die Lebensgeschichte, wie Rodolphe sie erzählt, alles andere als inspirierend. Da werden Station für Station auf jeweils einigen Seiten die mehr als achtzig Lebensjahre abgehakt, natürlich im strengen Ligne-claire-Stil, wie Jacobs ihn von Hergé erlernte (Carlsen bietet keine deutsche Leseprobe an, deshalb hier die französische: https://www.editions-delcourt.fr/catalogue/bd/la_marque_jacobs). Alloing erweist sich dabei als souveräner Nachahmer, und zudem bringt er in etlichen Panels direkte Bildverweise auf klassische Motive aus den Jacobs-Comics unter. Es ist ein wunderbares Spiel, sie aufzustöbern. Und dass sich Jacobs bei der Gestaltung von Blake und Mortimer an Vorbildern im eigenen Freundeskreis orientierte, wird hier zu einer schönen Reminiszenz gemacht. Nur die Theaterszenen aus den Opernhäusern sind seltsam blutleer.
Doch was verschenkt dagegen Rodolphe als Szenarist alles! Die politischen Konstellationen der Jahre 1940 bis 1947 – Fehlanzeige bis auf wenige Nebenbemerkungen. Das weitgehende Verstummen von Jacobs, der wie Hergé im Alter immer skrupulöser beim Zeichnen wurde – auch kaum etwas darüber. Die seltsame private Konstellation einer geliebten ersten und einer rettenden zweiten Ehefrau – kaum verständlich dargestellt. Man liest hier eine Pflichtaufgabe, von der Rodolphe in einem dem Comic angehängten Gespräch behauptet, es wäre ihm eine Herzenssache gewesen. Er muss ein kaltes Herz besitzen.