Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Märchen einmal ganz neu

Die Comic-Anthologie „Ampel“ überrascht mit einem Themenheft zu Märchen, in dem es gar nicht so viel Comics zu finden gibt. Dafür aber umso mehr sonst.

Vor ein paar Wochen hat das diesjährige Comicfestival „Fumetto“ in Luzern stattgefunden, mit wieder 50.000 Besuchern in zehn Tagen weiterhin das wichtigste seiner Art in der Schweiz, und am ersten Tag lag in der Sektion „Small Press“ ein Stapel grüner Hefte an einem Stand aus. Der Umschlag zeigte einen Ritter, der als perfekte Mischung aus Hal Fosters „Eisenherz“ und Yves Chalands „Testament des Gottfried von Bouillon“ durchgehen kann. Am Ende des Tages waren alle Hefte weg, und man darf sich für all  die mitfreuen, die auch ein Exemplar gekauft haben.

Denn dieses elfte Heft einer Comic-Anthologie namens „Ampel“ ist ein reines Lesevergnügen. Und das jüngste Kapitel einer lokalen Erfolgsgeschichte. Denn „Ampel“ wurde vor vier Jahren von drei Studenten des Fachs Visuelle Kommunikation an der Luzerner Hochschule begründet: Anja Wicki, Andi Kiener und Luca Bartulovic. Vor zwei Jahren, als alle drei gerade ihr Studium abschlossen, gewann das Magazin beim Comicsalon in Erlangen den Preis für die beste studentische Publikation. Ob das mit der elften Nummer auch geglückt wäre, darf man bezweifeln, weil sie strenggenommen kaum Comic-Elemente enthält. Aber ansonsten ist sie wunderbar geglückt (https://www.ampelmagazin.ch/index.php?/ausgaben/-11/).

Wicki, Kiener und Bartulovic haben dafür je ein Märchen illustriert. Und das haben sie auch gleich selbst geschrieben. Kieners „Der Pakt“ macht den Auftakt, und hier ist auch noch das meiste Comicartige zu finden, immerhin drei klassische Seiten mit Sprechblasen neben vier ganzseitigen stummen Illustrationen und dem eigentlichen Erzähltext, dem ohne die Bildsequenzen allerdings etwas Entscheidendes fehlen würde. Es ist eine düstere Geschichte, eine weitere Variante des in der Märchenliteratur verbreiteten Teufelspaktes, und die Bilder, die Kiener dazu gezeichnet hat, verdanken Doré und Tardi gleichermaßen viel.

Dagegen ist Wickis „Versprechen der schwarzen Schlange“ eher in typischer Independent-Grafik gehalten, und die insgesamt dreieinhalb Comicseiten ohne jedes Textelement neben sechs ganzseitigen Bildern und dem Märchen selbst nutzen konsequent die rote Zusatzfarbe, die Kiener nur zum Finale seiner Erzählung für eine Sonnendarstellung eingesetzt hat. Weniger düster ist Wickis Geschichte deshalb aber nicht, wobei alle Textpassagen auf hochformatig angeschnittenen Seiten abgedruckt sind, so dass die Bilddramaturgie (und -dramatik) durch das, was man vom kommenden Geschehen schon sieht, noch gesteigert wird.

Geradezu konventionell, aber dafür besonders virtuos zeichnet und erzählt dagegen Bartulovic in „Von der unglücklichen Prinzessin“. Die zweieinhalb Seiten mit Bildersequenzen sind in Ligne-claire-Stil gehalten, die fünf großformatigen Illustrationen eher in souveräner Fantasy-Ästhetik. Hier wird das glücklichste Märchen erzählt, aber auch das zwischendurch abgründigste, das zudem mit einem Hauch grafischer Erotik gewürzt ist.

Dreihundert Exemplare gibt es von „Ampel“ jeweils nur, der Preis von zehn Franken ist schon angesichts des von Kiener gestalteten Siebdruck-Umschlags ein Witz. Weitermachen wollen die drei erfreulicherweise, und nach eigenen Angaben haben sie noch Größeres vor. Darauf darf man gespannt sein.