Bei diesen beiden neuen Comics muss man konsequent die Szenaristen zuerst nennen, denn sie haben nicht nur die Geschichten geschrieben, sondern machen auch selbst die Geschichte aus, die es über ihre Bücher zu erzählen gilt. Peer Meter hat es mit dem Szenario zu „Vasmers Bruder“ tatsächlich geschafft, seinen ambitionierten Zyklus über historische Mörder zu Ende zu bringen, und auch wenn nicht alle vor vier Jahren ins Auge gefassten Plotpläne umgesetzt wurden, sind vier Comics, von vier verschiedenen Künstlern umgesetzt, für Deutschland ein stolzes Ergebnis. Zumal wenn man bedenkt, dass mit dem von Barbara Yelin gezeichneten „Gift“ und mit dem von Isabel Kreitz umgesetzten „Haarmann“ auch noch zwei große Erfolge dabei sind.
Bei „Green River Killer“ handelt es sich nicht wie bei dem 1956 geborenen Meter um das Werk eines bereits seit Jahrzehnten immer wieder einmal im Comicbereich aktiven Autors. Jeff Jensen, Journalist beim amerikanischen Magazin „Entertainment Weekly“ und fanatischer Exeget der Fernsehserie „Lost“, wuchs in Seattle als Sohn des Polizisten Tom Jensen auf, der ihm nicht nur den Spaß an Comics vermittelte, sondern über die Jahre der Kindheit und Jugend von Jeff hinweg als Ermittler mit dem Fall des Serienmörders Gary Leon Ridgeway befasst war. 2003 erging das Urteil gegen Ridgeway, dem der Mord an insgesamt 48 Prostituierten zur Last gelegt wurde: lebenslange Haft. Doch einer derjenigen, die durch die Verbrechen tatsächlich lebenslang in Gefangenschaft gerieten, ist Tom Jensen.
Davon erzählt „Green River Killer“ mehr als von den wirklichen Morden. Der Band ist ein Porträt der unendlich mühsamen und deprimierenden Verfolgung des Täters und der Rekonstruktion seiner Verbrechen, wobei besonders die Verhöre von Ridgway in Polizeigewahrsam große und beeindruckende Passagen des Comics ausmachen. Die Problematik einer solchen Ermittlung, die mit den strengen Regularien des amerikanischen Justizwesens vereinbar sein muss – wie weltfremd auch immer sie uns erscheinen mögen –, wird hier eindrucksvoll deutlich.
Allerdings hätte dieser Stoff einen besseren Zeichner verdient gehabt. Da Jonathan Case in Portland, Oregon, lebt, ist ihm das geographische Umfeld des Ridgway-Morde vertraut, doch die Dekors sind so austauschbar gestaltet, als hätte Case sie als Folien im nächsten Supermarkt erwerben können. Seine Schwarzweißgraphik ist ausdruckslos, die Figuren sind bisweilen schwer zu unterscheiden (was bei der komplexen Handlung, die von 1965 bis 2005 reicht und somit diverse physiognomische Veränderungen mit sich bringt, die Lektürefreude nicht fördert), originelle Seitenarchitekturen gibt es gar nicht. „Green River Killer“ kommt daher wie die Sammelausgabe einer x-beliebigen amerikanischen Heftreihe (https://www.carlsen.de/hardcover/green-river-killer/37577#Inhalt).
Das ist schade, denn es steckt viel mehr in dem Buch, als man beim ersten Aufschlagen glauben würde. Die Bilder locken aber einfach nicht, und es gibt auch keine inhaltliche Berechtigung für diese Dutzendware. Man sehe sich im Vergleich nur einmal den im vergangenen Jahr bei Metrolit erschienen, gleichfalls autobiographisch grundierten Serienmörder-Comic „Mein Freund Dahmer“ von Derf Backderf an: An dessen Erscheinungsbild muss man sich zwar gewöhnen, aber dafür ist die eckig karikierende Graphik kongenial zur gefährlichen Konstellation der Geschichte.
„Vasmers Bruder“ ist das genaue Gegenteil zu „Green River Killer“. Hier hat Peer Meter vor allem im Vergleich mit „Haarmann“ ein eher schwaches Szenario abgeliefert, aber David von Bassewitz macht das mit seiner malerischen Bildgestaltung mehr als wett (https://www.carlsen.de/hardcover/vasmers-bruder/31180#Inhalt). Carlsen – übrigens auch der Verlag von „Green River Killer“ – spricht vom Comic-Debüt des Berliner Künstlers, doch man hat Bassewitz auch schon in diversen Ausstellungen und Präsentationen des „Black.Light Projects“ von Wolf Böwig und Pedro Rosa Mendes (https://www.blacklightproject.org/project.php) mit Bildergeschichten vertreten gesehen. Da konnte man sehen, wie eindrucksvoll die leicht verwischte Ästhetik seiner ansonsten realistisch gehaltenen Bleistift- und Kohlezeichnungen bedrohliche Stimmungen erzeugt – bei der Schilderung von Kriegsverbrechen in Afrika genauso wie nun beim Fall des Massenmörders Karl Denke, der bis zu seinem Tod 1924 in Schlesien mindestens dreißig Menschen getötet und zerteilt hatte. Auf die Spur kam man ihn zu Lebzeiten nie; erst, als seine Wohnung nach dem Tod durchsucht wurde, fand man die grausigen Beweisstücke.
Peer Meter erzählt aber nicht die Geschichte dieses Horrors, sondern sein Szenario dreht sich um einen Herrn Vasmer, der heute ins mittlerweile längst polnische Schlesien reist, um seinen Bruder zu suchen, der an einem Dokumentarfilm über Denkes Verbrechen arbeitete und nun verschwunden ist. Durch konsequenten (und unübersetzten) Gebrauch der polnischen Sprache bei den Einheimischen, auf die Vasmer trifft, macht Meter die Verlorenheit dieses Deutschen klar, und die Bilder von Bassewitz lassen durch steten Format- und Arrangementwechsel gleichsam niemals Ruhe aufkommen. Hier passt auch das Schwarzweiß perfekt, weil das Eintauchen in die Vergangenheit wie in die Fremde durch die düstere Tristesse der Panels unterstrichen wird.
Doch Meter will zu viel, er erzählt eine Parabel auf Schuld und Selbstbetrug und Wahn – alles natürlich eng verknüpft mit dem, was man über Karl Denke weiß, aber weitaus eindrucksvoller als die provokative psychologische Ausdeutung, die er über seine Figur Vasmer dem Fall angedeihen lässt, wäre eine Fallschilderung gewesen, wie „Gift“ und „Haarmann“ sie ja auch bieten. Es ist kein Wunder, dass das keineswegs misslungene, aber eben auch fiktiv gehaltene Band „Böse Geister“, den Gerda Raidt gezeichnet hat, der bislang am wenigsten überzeugende in Meters Mörder-Panoptikum war. Bei „Vasmers Bruder“ ist nun zumindest das faszinierend Bedrückende der beiden ersten Teile der Tetralogie wieder da, doch der Schrecken des Wissens um die Realität der geschilderten Ereignisse wird im Abschlussband gemildert durch die im Vordergrund stehende Fiktion.
Und so hat man den interessanten, aber auch enttäuschenden Fall, dass im selben Verlag zwei an wirklichen Ereignissen orientierte Krimi-Comics erscheinen, von denen der eine an den Zeichnungen scheitert und der andere an der Geschichte. Obwohl beide das Potential zu viel mehr hätten.