Comic

Comic

Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Venedig wie im Traum

Jiro Taniguchi ist der größte Künstler des japanischen Manga. In einem opulenten Band erzählt er jetzt für einen Luxuskonzern eine Geschichte aus Venedig. Herausgekommen ist schiere Augenlust.

Vor ein paar Monaten begann der französische Luxuskonzern Louis Vuitton eine neue Buchreihe: „Travel Book“. Viele Jahre lang hatte das Pariser Haus seine „Carnets de Voyage“-Serie herausgebracht, doch nun sollte etwas Neues her, und heutzutage muss es ja Englisch sein. Die Idee: Illustratoren aus der ganzen Welt werden an Plätze geschickt, die sie interessieren, und dort sollen sie Zeichnungen anfertigen, die für einen mehr als hundertseitigen querformatigen Prachtband in Halbleinen reichen. Das Ganze hat seinen Preis: 45 Euro pro Buch (was die limitierte Luxusausgabe in Leder kostet, will ich gar nicht wissen), aber die Bücher sind ihren Preis wert.

Sechs sind bislang erschienen: über die Osterinsel, über Paris, London, New York, Venedig und Vietnam. Die letzten beiden sind für Comicliebhaber besonders interessant, denn der Vietnam-Band ist von dem in Paris lebenden Italiener Lorenzo Mattotti illustriert, der seit mehr als dreißig Jahren zur internationalen Comic-Avantgarde zählt, und der Venedig-Band stammt gar von Jiro Taniguchi.

Der ist der erfolgreichste Manga-Künstler, wobei die Betonung auf „Kunst“ liegt, denn Taniguchi, geboren 1947, hat einen anderen Anspruch als die meisten Mangaka. Er ist auch der Westlichste unter ihnen, weil er als seine wichtigsten Einflüsse französische Zeichner wie Moebius oder Bilal nenn, und eine faszinierende Mischung aus Manga-Ästhetik und Ligne Claire geschaffen hat. Stimmungen sind ihm wichtiger als Action – so tritt er das Erbe der großen Ukiyo-e-Künstler wie Hokusai oder Hiroshige an. Und er hat weltweit alle wichtigen Comicpreise gewonnen, vor allem für seinen Band „Der spazierende Mann“ von 1991, der einen Flaneur in mehreren Kurzgeschichten beim Gang durch die Vorstädte begleitet.

Als Louis Vuitton ihm jetzt das Angebot unterbreitete, Venedig zu porträtieren (einen eigens dazu produzierten Kurzfilm findet man unter https://vimeo.com/89891642), besann sich Taniguchi auf dieses Vorbild. Es ist zwar nicht der alte Spazierende Mann, dessen Wege durch Venedig er verfolgt, aber auch sein aktueller Protagonist ist dauernd auf den Laguneninseln unterwegs, denn er verfolgt die Spuren seines Großvaters Oribe Tsuguo, der sich hier in den fünfziger Jahren als Maler aufgehalten hat. Ein paar Postkarten, Fotos und Zeichnungen haben sich im Familienbesitz erhalten, doch erst in Venedig erkennt der junge Mann die Breite des Werks seines Großvaters.

Der malte ausschließlich Venedig – also ist dieser ältere Künstler das Alter Ego Taniguchis, nicht der junge Mann. Denn war der japanische Zeichner in „Venice“ veranstaltet, ist eine einzige große Hommage an die magische Stadt auf dem Wasser. Er wechselt zwischen – meist wortlosen – Comicsequenzen und ganz- oder gar doppelseitigen Veduten, die derart meisterlich gemalt, gezeichnet und skizziert sind, dass man nun erst den Künstler Jiro Taniguchi richtig kennen lernt. Vom Fotorealismus bis zur nahezu abstrakten Farbimpression à la William Turner reicht sein Spektrum, und die Venedig-Ansichten dieses Buchs wecken eine Sehnsucht nach der Stadt, die man schwer bezähmen kann. Es sei denn, durch sofortige Neulektüre dieses melancholisch-tröstlichen Buchs.