Comic

Comic

Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Was hat denn die für einen Kopf?

Seit fünf Jahren gibt der Louvre eigene Comics heraus, elf Bände sind mittlerweile erschienen. Die Reihe hat zwei programmatische Bedingungen: Die Geschichten müssen im Louvre selbst spielen, und es sollen gestandene Comickünstler sein, die sie erzählen. Klar, das größte und berühmteste Museum der Welt ist auf seinen Ruf bedacht.

Neun der bislang elf Comics stammen von französischen Zeichnern (nein, Frauen sind bislang nicht vertreten, auch wenn Loo Hui Phang für Philippe Dupuy immerhin ein Szenario verfassen durfte), darunter solch Berühmtheiten wie Enki Bilal, Nicolas de Crécy, Bernard Yslaire, David Prudhomme oder Marc-Antoine Mathieu. Die beiden Ausnahmen sind Japaner: Hirohiko Araki, der einen klassischen Manga für den Louvre zeichnete, und jetzt als elfter und somit aktuellster in der Serie Jiro Taniguchi. Über ihn habe ich schon mehrfach an dieser Stelle geschrieben, und somit kann ich meinerseits zwei Dinge wohl als bekannt voraussetzen: Taniguchi ist der angesehenste lebende Mangaka, und er zeichnet im Vergleich mit seinen japanischen Kollegen eher westlich, weil seine Liebe dem französischen Comic gehört. Deshalb ist er vom kommenden Donnerstag (29. Januar) an auch einer der Ehrengäste beim diesjährigen Comicfestival von Angoulême. Mal sehen, ob er mir da begegnen wird … Aber der französischen Fachpresse entnehme ich, dass die Plätze für seine Signierstunden verlost werden. Und Taniguchi soll sehr scheu sein.

Aber eben ein Frankophiler und in diesen Tagen zu Gast in Frankreich. Beste Voraussetzungen also für eine Zusammenarbeit mit dem Louvre (und dem Pariser Verlag Futuropolis, der die Bände vertreibt). Taniguchis Band heißt „Les Gardiens du Louvre“ (Die Schutzgeister des Louvre) und kommt im klassischen französischen Albenformat daher. Aber dann schon die erste Überraschung: Er will von rechts nach links gewesen sein, also so, wie Manga im Original gedruckt werden, und das hat man bislang bei Taniguchi-Publikationen im Westen stets vermieden. Der Louvre setzt damit ein Signal: Wir wollen so authentisch japanisch sein wie möglich (und wie das Manga-Publikum es liebt).

Worum geht es? Wie fast immer bei Taniguchi um einen einsamen Mann, einen Japaner, der im Mai 2013 zu einem spanischen Comicfestival gereist ist und auf der Rückreise ein paar Tage in Paris Halt macht, um sich dort die Museen anzusehen (Leseprobe: https://www.futuropolis.fr/planche.php?id_article=790344). Leider ist er krank, nur mit Mühe schleppt er sich aus seinem Hotelzimmer zum Louvre, wo er auch prompt einen Anfall erleidet. Als er aus seiner Benommenheit wieder erwacht, ist das zuvor überfüllte Museum leer, und eine seltsam in Rosaweiß gewandete Frau spricht ihn an, die sich als einer der Schutzgeister des Louvre vorstellt. Taniguchi lässt in seiner Erzählung bewusst offen, ob es sich bei allem, was dann folgt, nicht nur um Fieberhalluzinationen seines Protagonisten handelt.

Was konkret folgt, sind Streifzüge durch einen Louvre, wie ihn keiner kennt (nämlich weiterhin menschenleer) und Ausflüge in die Geschichte des Museums und der Malerei. Zum Beispiel trifft der japanische Gast den Landschaftsmaler Jean-Baptiste Camille Corot, Vincent van Gogh und den für die Räumung der Louvre-Bestände im Zweiten Weltkrieg zuständigen Mitarbeiter – und das jeweils in ihrer Epoche. Der gute Schutzgeist, der diese Zeitreisen ermöglicht, entpuppt sich als Nike von Samothrake, deren weltberühmte Skulptur im Treppenhaus des Museums steht. Dass Taniguchi aus der reichen Auswahl an Artefakten des Louvre  ausgerechnet ein Objekt wählt, dem der Kopf und die einstige Bemalung fehlen, so dass man nicht sofort auf die Identität der jungen Dame in Rosaweiß kommt, ist ein geschickter Kunstgriff – andererseits aber habe zumindest ich mir die Nike (zugegebenermaßen mein Lieblingsobjekt im Louvre) ganz anders vorgestellt. Sie ist dann doch nur eine der vielen Taniguchi-Frauen, die bewusst ähnlich austauschbar gehalten sind wie seine männlichen Helden.

Immer, wenn Taniguchi farbig arbeitet, verliert seine Graphik an Charme. Das ist auch hier so. Was wäre das in Schwarzweiß für ein Fest gewesen, aber so etwas kauft der Louvre-Besucher wohl eher nicht. Man kann es sich – wenn auch in anderem Format – exemplarisch in seiner jüngsten deutschen Publikation ansehen: der Kurzgeschichtensammlung „Der Gourmet“ (erschienen bei Carlsen). Alles wie gehabt – ein Japaner mittleren Alters durchstreift Tokio, diesmal auf der Suche nach gutem Essen. Und natürlich ist alles schwarzweiß, weil die Geschichten ursprünglich für japanische Manga-Anthologien gezeichnet wurden. Das übrigens schon in den neunziger Jahren. Weshalb der dokumentarisch-klare Stil von Taniguchi eine Stadt rekonstruiert, die es heute kaum noch so gibt, mit den Straßenzügen, Menschen und vor allem Accessoires von damals.

Farbe kleistert solche Genauigkeit zu, oder um es brutal zu sagen: Der Louvre sieht nicht so aus, wie Taniguchi ihn koloriert. Er wird zur Fantasywelt, und das passt ja auch zur Geschichte, die erzählt wird, aber die wahre Stärke von Taniguchis Zeichnungen, ihr Realismus, kommt dadurch nicht zur Geltung. Die Farben unterstützen die elegisch-romantisierende Stimmung, die in allen Manga dieses Autors herrscht, zusätzlich, und das tut der Sache nicht gut, weil es zu viel des Wehmütigen ist. Zumal Taniguchi die Geschichte in einer Apotheose gipfeln lässt, die mit „Kitsch“ wohl noch freundlich umschrieben ist.

Aber natürlich muss man alles lesen, was man von ihm kriegen kann. Selbst weniger gute Geschichten von Taniguchi sind immer noch besser als fast alles andere. Und so ist meine Vorfreude auf Angoulême, wo es eine Ausstellung seiner Werke geben wird, immens. Von Donnerstag an, wenn alles klappt, zu ihm und allem anderen auf dem Festival mehr an dieser Stelle.