Comic

Comic

Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Der Junge aus der Mondfamilie

Wo hat Joey nur seinen Kopf? Das fragen sich alle, die Eltern, die Klassenkameraden und die Lehrer. Und die Leser von Andrew Raes Comic „Moonhead and the Music Machine“. Denn dessen Hauptfigur, eben Joey, lässt beim Aufwachen erst einmal seinen Kopf auf dem Kissen liegen und geht kopflos zur Schule. Aber seltsam genug: Das scheint niemanden zu wundern.

Es ist eine wunderbare Idee von Rae, eine Redensart wörtlich zu nehmen und seinen Joey in den Momenten, in denen er träumt, ohne Kopf zu zeichnen. Wobei dieser Kopf alles andere als normal ist, selbst wenn er wieder zu Joey stößt. Denn es ist ein Mondkopf, riesig, blass, mit einem Mondgesicht darauf und immer ein paar Zentimeter über dem restlichen Körper schwebend. So kennzeichnet Rae seinen Protagonisten auch noch als Außenseiter in der Schule, und wenn man zum ersten Mal die Köpfe von Joeys Eltern sieht (was spät geschieht), dann weiß man, dass dieser Junge ein Außenseiter durch Abstammung ist. „Moonhead“ kann man also ruhig als ein Gesellschaftsporträt lesen. (Und sich hier ansehen, inklusive Musikvideo: https://www.andrewrae.org.uk/Moonhead-and-the-Music-Machine)

Ein britisches natürlich, wie die Schuluniformen und etliche andere Details verraten. Erschienen ist Raes Comic nämlich beim englischen Nobrow-Verlag, ins Französische übersetzt ist er aber auch schon, und eine deutsche Fassung dürfte wohl nicht lange auf sich warten lassen, denn der Band hat alles, was einen internationalen Comicerfolg erleichtert: klare Graphik, Graphic-Novel-Format und vor allem eine Handlung, die in vielen Kulturkreisen angesiedelt sein kann.

Denn Probleme mit ihren Mitschülern, Lehrern und Eltern dürfte wohl die meisten Jugendlichen haben, und viele werden auch den Ausweg erträumen, auf den der gehänselte und schikanierte Joey hofft: eine Karriere als Rockmusiker. In einer hinreißenden Sequenz zeichnet Andrew Rae die Plattencover der Alben, die der Junge sich während eines Hausarrests anhört: alles Parodien von realen Stars wie den Beatles, Cream, Captain Beefheart, Michael Jackson, Martha Reeves and the Vendellas und etlichen mehr. Etliche davon haben übrigens auch Mondköpfe.

Joey baut sich ein Instrument, die „music machine“ aus dem Titel. Doch es bringt nur Misstöne hervor. Bis er einen Mitschüler trifft: Ghostboy, der genauso aussieht, wie sein Name lautet. Der beherrscht das neue Instrument perfekt, weil er aber scheu ist, spielt er es bei einem gemeinsamen Auftritt zwar, doch lässt die begeisterten Mitschüler glauben, dass Joey der Urheber des Wohlklangs ist. Wieder hat Rae zur Visualisierung des Erfolgs eine großartige Idee: Er zeichnet Doppelseiten, die man hochkant betrachten, das Buch also querlegen muss, und darauf wird die Musik in psychedelische Farbmuster umgesetzt, die das Publikum in die phantastischsten Kreaturen verwandeln.

Am Tag darauf ist Joey plötzlich der Beliebteste von allen, und etliche Mitschüler haben sich in ähnliche Sonderlinge wie er verwandelt – die Schule, wie Rae sie nun zeichnet, gleicht einer Freakshow. Die Einzige, die vorher zu ihm gehalten hat, das Mädchen Sockets, sieht sich allerdings nun vernachlässigt, weil Joey die neue Gunst der anderen genießt und sie darüber vergisst. Das wird sich rächen.

Es ist also eine durchaus moralische Geschichte, die Andrew Rae erzählt, und durch die konsequent eingesetzte Verfremdung der Akteure mittels Symbolen wie dem Mond oder dem Gespenst wird es auch eine allegorische. Dass sich am Schluss alles zum Wunderbarsten fügt, mag man unrealistisch nennen, aber Rae folgt damit konsequent den Traditionen solcher Außenseiterromane für Jugendliche. Und wie er am Schluss  den geheimnisvollen Ghostboy entschlüsselt und jedem Schüler einen eigenen solchen Helfer zuordnet, der jeweils nur durch anderes Schuhwerk individualisiert ist, das ist im Idiom der Comics so grandios gelöst, dass man dem Band die süßliche Harmonie gern nachsieht. Und überhaupt: Happy Endings sind ja auch mal schön.