Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Landlust fühlt sich anders an

Das nenne ich mal eine geschickt gewählte Kategorie: „Landei ist ihr erster abendfüllender Comic“, heißt es im Klappentext zu ebenjenem Band einer Zeichnerin namens Christiane Pieper, die man als Jahrgang 1962 wohl eine Spätdebütierende nennen darf. Das macht aber nichts, denn „Landei“ ist insofern tatsächlich abendfüllend, als man eine ganze Menge fürs Geld geboten bekommt. Und besser als „Graphic Novel“ klingt „abendfüllender Comic“ allemal.

Nur dass der Band bei der sonst eher avantgardistischen Edition Moderne erscheint, irritiert, denn inhaltlich ist dieser Band weitaus näher an „Strizz“ als etwa an „Persepolis“ oder „Der Photograph“. Sprich: Hier geht es vorrangig ums Amüsement. Aber das ist ja nichts Schlechte, im Gegenteil. Und die ähnlich gestaltete Serie „Zürich by Mike“ des 2009 verstorbenen Mike van Audenhove war und ist ja der Bestseller der Edition Moderne – weit vor Jacques  Tardi oder eben auch Marjane Satrapi. Fun  sells.

Dass Christiane Pieper studierte Psychologin ist, merkt man ihrem sublimen Blick auf die Protagonisten einer Bauernfamilie an, in der man rasch die der Zeichnerin erkennt. Alle Zeitangaben des Comics stimmen mit dem Lebenslauf seiner Autorin gegenüber: Sie selbst stand also wohl Modell für die kleine Inga, aus deren Sicht hier erzählt wird. Die Geschichte endet bereits vor dem ersten Schultag, aber es passiert mehr als genug, um die 120 großformatigen Schwarzweißseiten zu füllen. Und wo Zeitschriften wie „Landlust“ riesige Verkaufszahlen erreichen, sollten doch auch genug Interessenten für „Landei“ zu finden sein.

Wobei hier kein idyllisches Landleben porträtiert wird, sondern das ziemlich brutale Dasein eines kleinbäuerlichen Betriebs, dessen Betreiber keine großen Sprünge machen und seiner Frau und den beiden Töchtern (neben Inga noch die etwas ältere Greta) nur eines zuverlässig bieten kann: viel Arbeit. Die Mutter wird darüber auch schwerkrank, aber wer glaubt, hier liefe alles auf aus Kino, Fernsehen und Literatur sattsam bekannte rührselige Entwicklungen hinaus, der unterschätzt den Einfallsreichtum des Lebens und damit auch diesen Comic.

Christiane Pieper verherrlicht ihre Kindheit, aber wer täte das nicht, sofern sich diese nicht mitten im Krieg oder in größtem Elend abgespielt hat – und selbst dann neigen Menschen im Rückblick auf die Unschuld der Jugend noch zur Idealisierung. Sehr subtil wird aber eben immer wieder die Härte des Landlebens miteingeflochten, und trotzdem wird der naiv-euphorische Blick Ingas beibehalten. Dass man sich so konsequent in die Sicht einer Drei- bis Sechsjährigen  hineindenken kann, ist keine Selbstverständlichkeit.

Graphisch ist „Landei“ dagegen weitaus weniger überzeugend (Leseprobe unter https://www.editionmoderne.ch/angebot.php?vl=0&vi=63&vs=282&va=&vsa=&vlp=282&vflip=). Pieper liefert solides Kinderbuchillustrationsmaterial, aber keine wirklich überzeugende Comic-Arbeit ab. Die hätte einen einfallsreicheren Umgang mit der Seitenarchitektur erfordert als nur gelegentliche ganzseitige Bildlösungen . Leider verheißen die ersten fünf Seiten etwas viel Ungewöhnlicheres als das, was dann auf den restlichen 115 folgt. Wenn es doch nur Comic-Lektorate existierten…

Doch gerade, weil es in „Landei“ noch einige Defizite gibt, wünscht man sich einen zweiten Band, denn auch eine Schulzeit in den sechziger Jahren auf dem Land – konkret handelt es sich übrigens um das Bergische Land, und da kenne ich mich kindheitsbedingt aus – dürfte berichtenswert sein und für heutige Leser entweder nostalgische Reminiszenzen oder echte Überraschungen bereithalten. Hoffentlich macht Christiane Pieper also weiter. Dann gern mit mehr Augenmerk auf das, was ein abendfüllender Comic neben einer guten Geschichte auch noch braucht: gute Bilder.