Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Mehr Mut zum Übermut

Andreas Eikenroth ist auf den Geschmack gekommen. Und wir auch. 2013 kam sein Comic „Die Schönheit des Scheiterns“ heraus, eine in einer leicht als Gießen zu identifizierenden mittelgroßen Universitätsstadt angesiedelte Geschichte um die Lebens- und Liebeswirren des Mittzwanzigers Paul, der einerseits einen klassischen Malocherjob in untergeordneter Stellung ausübt, andererseits als Sänger einer lokalen Rockband den Chef spielen möchte. Seine Musikerkollegen, Freunde und Liebschaften legten einen sozialen Kokon um den blondsträhnigen jungen Mann, der so vielfach miteinander verflochten war, dass es für zwei Comics gereicht hätte. Und kaum zwei Jahre später ist der zweite auch schon da.

Diesmal heißt er deutlich profaner „Hummel mit Wodka“, keine Spur mehr vom existenzialistischen Sound des früheren Titels. Aber der Philosoph und Dichter Helge Borchert, der für die Band die Texte schreibt, tritt diesmal ja auch nur in einer Nebenrolle auf. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Band als Kollektiv, obwohl deren Stammbesetzung zur Hälfte kneift, als es mal über den Gießener Umkreis hinaus und nach Hamburg auf Tournee gehen soll. Wobei der tiefere Grund für die Reise Pauls Sehnsucht nach der Kunststudentin Ina ist, in die er sich im ersten Band verliebt hatte und die ihm mittlerweile zwar nicht den Laufpass, aber doch durch ihren Wegzug in die Hansestadt das deutliche Signal gegeben hat, dass diese Beziehung ihr wenig Hoffnung macht.

Soweit zur Ausgangskonstellation. Was macht Eikenroth nun anders als beim ersten Mal? Und ist das klug, wo er doch für „Die Schönheit des Scheiterns“ den ICOM-Preis für das beste Szenario bekommen hatte, eine der wenigen deutschen Comicauszeichnungen und zudem eine ernstzunehmende, wenn auch undotierte? Nun, zunächst einmal hat der Gießener Zeichner und Musiker seinen Stil insoweit perfektioniert, als dass er jetzt wie ein deutscher Klon des frühen Serge Clerc aussieht (Leseprobe: https://www.edition52.de/sites/default/files/LESEPROBE_HUMMEL_MIT_WODKA_0.pdf). Kein Wunder, denn wer wie Eikenroth Jahrgang 1966 ist – der Verfasser weiß, wovon er spricht –, der hat in jener Lebensphase, die die Spreu der Kindercomics vom Weizen der Bildergeschichten für Erwachsene trennte, auf jeden Fall die französischen New-Wave-Comics wahrgenommen, die damals durch den seinerzeitigen Klein- und heutigen Großverleger Benedikt Taschen nach Deutschland kamen und einen ihrer wichtigsten Protagonisten in Serge Clerc hatten – zumal einen, für den Rockmusik das wichtigste Thema war. Und so sieht denn Eikenroths Held Paul aus wie ein etwas abgefuckter Sam Bronx. Aber Gießen ist ja auch nicht Paris.

Aber auch nicht Hamburg, und aus dem Besuch der vier mittelhessischen Provinzler in der Großstadt zieht „Hummel mit Wodka“ dementsprechend einen Großteil seines Humors. Der fällt etwas brachialer aus als im ersten Band, was aber auch daran liegt, dass mit dem Ersatzschlagzeuger Uwe ein besonders schlichtes Gemüt mitreist, was diesen Unglücksraben allerdings nicht daran hindert, sich für unwiderstehlich und vor allem ortskundig (daher das „Hummel“ aus dem Titel) zu halten. Die weitgehende Abwesenheit von Ina, die diesmal lediglich zwei Auftritte hat, wird nur halbwegs kompensiert durch die Cellistin Sani, die den zu Hause gebliebenen Stammbassisten Stefan ersetzen soll, aber schon vorzeitig wieder die Rückfahrt nach Gießen antritt, so dass die Männer am Ende unter sich sind. Mit denen fühlt sich Eikenroth aber eh wohler; Frauenfiguren sind seine größte Stärke nicht.

Was nichts macht, denn das geht Sven Regener oder Detlef Buck, um zwei im Humor vergleichbare Erzähler aus anderen Kunstformen zu nennen, nicht anders. Eikenroth hat wie sie keine Scheu, auch mal die schnelle Pointe zu suchen und auf tiefenpsychologische Erörterungen seines Personals zu verzichten. Deshalb kommt auch nie die Frage nach autobiographischem Hintergrund auf, obwohl es da einige Berührungspunkte gibt, aber hier wird so lustvoll klischeereich erzählt, dass man das dem Leben doch nicht ganz zutraut. Da hat sich Eikenroth gegenüber dem ersten Teil noch einmal gesteigert.

Und doch ist die Überraschung nicht mehr so groß, weil man den kleinen Gießener Kreis ja schon kennt und durch ein paar Hamburger Begegnungen nicht viel neue Skurrilität dazukommt. Vor allem der Antagonist von Paul, ein blendend aussehender Rastamann, der in einem der Clubs arbeitet, in dem die Band auftritt, bleibt trotz Tätowierungen und Großkotzgehabe zu blass – beim finalen Aufeinandertreffen macht er enttäuschen schnell schlapp. Nur der Mann, der dafür verantwortlich ist, ein aus Schwaben zugezogener Clubbesitzer namens Florian, der sich aber als Russenmafioso Dragan ausgibt (daher der Wodka aus dem Titel des Comics), ist eine echte Bereicherung des Ensembles.

So liest man „Hummel mit Wodka“ mit großem Vergnügen und doch etwas Enttäuschung. Wenn Eikenroth einmal ungewöhnlich wird, etwa bei jenem Panel, auf dem Paul all seinen Charme einsetzt, um Sani zum Eintritt in die Band zu bewegen, dann ist das großartig, weil plötzlich der allzu vertraute Clerc-Stil gebrochen wird mit einem Manga-Zitat. Aber solchen Mut zum Übermut gibt es zu selten.

Andererseits ist es ein Zeichen von großer Courage, überhaupt einen Erfolg wie „Die Schönheit des Scheiterns“ fortzusetzen. In Deutschland gibt es zu viele Comiczeichner, die sich ständig neu erfinden wollen, und deshalb entsteht nur selten eine den französischen Vorbildern folgende Serie mit stehendem Personal. Eikenroth macht nun vor, wie das geht, und dass er ganz zum Schluss noch eine Volte einsetzt, die alles, was man vorher gelesen hat, plötzlich auch ganz anders deuten ließe, zeigt großes erzählerisches Geschick. Bitte noch mal den ICOM-Szenario-Preis für ihn. Und gern noch ein paar Käufer mehr, das wäre ihm und dem wunderbaren Wuppertaler Kleinverlag Edition 52 zu gönnen.

 

PS: Ein paar Mal hüpft ein Eichhörnchen scheinbar funktionslos durch die Handlung. Das kenne ich aus den Romanen von Marc Degens, zuletzt etwa „Fuckin Sushi“. Dort hat es etwas zu bedeuten, wie ich weiß, auch wenn ich noch immer nicht weiß, was. Gibt es unter den deutschen Erzählern eine Art Eichhörnchenverschwörung?