Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Wissenschaft als Comic

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Universitäten sind für die erstaunlichsten Dinge gut. Das wissen seit einiger Zeit auch Comicleser, denn aus den deutschen Illustrationsklassen kommen einige der erfreulichsten deutschen Comics der letzten Jahre. Ob es Zeitschriften wie „Orang“ (HAW Hamburg), „Triebwerk“ (Universität Kassel) oder „Strichnin“ (Hochschule Augsburg) sind; ob man wunderbare Einzelbände nennt, die aus Kursen hervorgegangen sind wie etwa ATAKs Veranstaltung an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle, die uns Alexandra Rüglers illustrierte Version von Patricia Highsmiths Roman „Der talentierte Mr Ripley“ beschert hat; ob es Jungstars oder bereits Etablierte wie Aisha Franz (Kassel), Anna Haifisch (Leipzig), Max Baitinger (Leipzig), Sascha Hommer (Hamburg) und noch viele, viele mehr sind; oder ob wir Anthologien nehmen wie etwa die vor einem halben Jahr an dieser Stelle (https://blogs.faz.net/comic/2016/06/28/grandhotel-als-fluechtlingsmodell-887/) gewürdigten „Geschichten aus dem Grandhotel“ (Augsburg) – man könnte schier endlos weiter aufzählen. Aber besser ist, sich einzelne Publikationen genauer anzusehen.

Zur letztgenannten Gruppe, der der Anthologien, zählt ein Band, der sich mit einem quasi selbstreferentiellen Thema befasst: einer Art Hochschule, die jedoch einen höchst dubiosen Ruf genießt, nämlich der Kolonialschule in Witzenhausen. Die wenigsten werden überhaupt gewusst haben, dass es diese Schule in der Nähe von Kassel einmal gab. Sie existierte von 1898 bis 1944, war also eine Gründung des Kaiserreichs, das dort sein deutsches Personal für die Kolonien ausbilden lassen wollte, und eine Schließung der Nazis, die aber durch den Krieg dazu gezwungen wurden, nicht durch bessere Einsicht. Im Gegenteil: Witzenhausen passte vom Lehrplan her perfekt zum deutschen Überlegenheitsgefühl, aber 1944 wurde wohl auch langsam klar, dass es mit Kolonien fürs Reich nie mehr wieder etwas werden würde. Es war der geringste Verlust jener Jahre.

Die Grundstücke und Gebäude wurden nach 1945 von der landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Kassel weitergenutzt, und deren Studenten haben sich nun mit den Kommilitonen der auch in Kassel angesiedelten Illustrationsklasse von Hendrik Dorgathen und Geschichtsstudenten zusammengetan, um dieses heikle Stück eigener Institutionengeschichte aufzuarbeiten. Herausgekommen ist nicht nur eine Reihe gründlicher historischer Studien, sondern auch eine Publikation namens „Raus rein“, die Texte und Comics versammelt, die sich mit der Kolonialschule in Witzenhausen beschäftigen.

So lesenswert die Texte sind, interessieren hier doch vorrangig die Comics, und schon die Tatsache, dass der Berliner Avant-Verlag den Band ins Programm genommen hat, zeigt, dass hier Qualität geboten wird. Eigentlich müsste es als Beleg für die Qualität des Buchs genügen festzustellen, dass sich in „Rein raus“ der erste längere Comic von Hendrik Dorgathen seit Jahren findet: „Drei Schädel in Witzenhausen“, eine sechsseitige Recherche über Bestände der Asservatenkammer. Wo der Professor mit gutem Beispiel vorangegangen ist (er gestaltete auch eine „Kolonialismus Mindmap“, der man die verschiedenen Schlagworte einer untergegangenen Wissenschaft, deren Vorurteile leider immer noch aktuell sind, ablesen kann, und einen Prosatext, der die eigene Herangehensweise bei dem sechsseitigen Comic legitimiert), haben die Studenten eifrig nachgelegt. Florian Biermeier, Anne Zimmermann, Adrian Richter, Elena Seubert, Caroline Godglück und Carina Riemenschneider haben in jeweils ganz unterschiedlichen Stilen weitere Kurzcomics auf Grundlage der mehrsemestrigen Recherchen gezeichnet, und Carmen José hat eine illustrierte Geschichte über die Tropenhäuser in Witzenhausen geschaffen, die zwar kein Comic ist, aber dennoch lesenswert – man meint sich teilweise in Bilder des französischen Künstlers Sam Szafran versetzt (beim Thema Treibhäuser auch nicht verwunderlich).

Das Buch ist aber nicht nur ein Schaukasten für die Vielfalt graphischer Techniken (die in der Leseprobe des Verlags – https://www.avant-verlag.de/comic/raus_rein – schön veranschaulicht wird) und Darstellungsweisen, sondern auch eine Fundgrube für Material zur Witzenhausener Schulgeschichte. So gibt es Fotos, die den heutigen Zustand des Areals ebenso wiedergeben wie dort noch erhaltene Ausstattungsstücke oder Lehrmaterialien inklusive derart heikler Gegenstände wie eben Dorgathens drei Schädel. Man hat mit „Rein raus“ viel zu sehen und viel zu lesen, denn es ist ja keine durchgängige und auf bloße Anschaulichkeit getrimmte Comicpublikation, sondern auch wissenschaftliche Arbeit, und das bekommt zwar nicht jedem Text gut, aber dadurch erhalten die Comics einen Anspruch, der in dieser Branche nicht alltäglich ist. Und es wird der Beweis geführt, dass Comics durchaus zur wissenschaftlichen Arbeit taugen. Mehr als das: Sie machen die wissenschaftliche Arbeit leichter kommensurabel. Mal sehen, wie es auf diesem verheißungsvollen Weg an deutschen Hochschulen weitergeht.


1 Lesermeinung

  1. KoenigLudwigIIvonBayern sagt:

    Grübel
    Ich frage mich, wie das Kaiserreich für private Besitztümer in Afrika, die von deren Besitzern käuflich erworben worden waren, oder für die in Fernost, zum Beispiel Tsingtao, das wie HongKong von einer privaten Kompanie auf 99 Jahre geleast worden war, “deutsches Personal für die Kolonien”ausbilden konnte, denn streng genommen waren das überhaupt keine Kolonien, oder ist ein Stück Land, das ich in Florida erwerbe, automatisch der bundesdeutschen Jurisdiktion unterstellt und völkerrechtlich ein Teil Deutschlands?

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