Comic

Comic

Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Schwarz auf Schwarz als Zeitporträt

Kurz bevor Jiro Taniguchi starb, las er noch den Manga einer Kollegin: „Die letzte Reise der Schmetterlinge“ von Kan Takahama. Auf der nun bei Carlsen erschienenen deutschen Ausgabe dieses Comics steht, was er danach gesagt hat: „Ein Manga, den man einfach gelesen haben muss!“ Solche Aussagen von Taniguchi, der nicht nur als Künstler sehr skrupulös war, sondern auch als Leser und Empfehler, muss man ernst nehmen. Was hat den europäischsten aller großen Mangaka an der Geschichte von Takahama so gefallen?

Zunächst wahrscheinlich die Sorgfalt der Bilder (Leseprobe unter https://www.carlsen.de/softcover/die-letzte-reise-der-schmetterlinge/85659#, natürlich „rückwärts“ zu blättern!). Wobei man dem Nachwort der Autorin entnehmen kann, dass sie ihre Recherche noch während der Arbeit an den ursprünglich in acht Fortsetzungen erschienenen Geschichte ständig fortsetzte – so dass die letzten Kapitel authentischer und detailreicher gezeichnet sind als die ersten. Das sieht man auch. Takahama besuchte unter anderem das ehemalige Vergnügungsviertel der Hafenstadt Nagasaki, also an jenem Ort, wo jahrhundertelang der einzige Kontakt von Japan mit der Außenwelt möglich war, weil dort eine holländische Kaufmannsansiedlung auf einer künstlichen Insel gestattet worden war. Und wo sich Männer fern der Heimat aufhalten, ist ein lukratives Rotlichtviertel nicht weit. Die gab es natürlich auch in anderen japanischen Städten, aber in Nagasaki waren die Kunden eben auch Westler, und wer weiß, wie überlegen sich die Japaner den Europäern fühlten, der wird sich denken können, was das für die japanischen Prostituierten bedeutete: Wenn sie die Fremden bedienten, wurden sie verachtet.

Die Wechselwirkung östlicher und westlicher Kultur (oder auch Unkultur) hat Jiro Taniguchi, der selbst so viel von französischen Zeichnern wie Moebius gelernt hat, besonders interessiert. Zudem spielt „Die letzte Reise der Schmetterlinge“ in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, in den letzten Jahren des Tokugawa-Shogunats, jener Zeit also, die dem Handlungszeitraum in Taniguchis auf Deutsch bislang nicht erschienener Serie „Botchan no jidai“ unmittelbar vorausgeht. Deshalb konnte er die Qualität der historischen Darstellung besonders gut beurteilen. Und – nicht zu unterschätzen – Takahama hat ihre Geschichte gerade einmal auf 150 Seiten erzählt. Das ist nichts für einen Manga, aber wenn es einen wichtigen Autor gibt, der ihr darin vorangegangen ist, dann eben Taniguchi, dessen legendärer „Spazierender Mann“ ähnlich kurz ist.

Was erzählt Kann Takahama? Iher Protagonistin ist die Kurtisane Kicho, vielbewundert, viel gescholten, weil sie schön, aber auch für die Niederländer da ist. Besonders für deren Arzt, Doktor Thorn, dem sie aber nicht die Wahrheit über ihr eigenes Leben erzählt – aus gutem Grund, wie man schließlich erfährt. Mehr sei hier nicht gesagt, denn Takahama erzählt subtil und setzt mehrfach auf falsche Spuren, die allerdings jeweils rasch korrigiert werden.

Die Zeichnungen sind von überwältigender Genauigkeit, oft auch zu schön, um gut zu sein, wie überästhetisierte Graphikexzesse. Ein Segen, wenn bisweilen karikatureske Züge ins Bild kommen wie bei einem stramm nationalistischen Kunden im Vergnügungsviertel oder der schlauen Bordellchefin. Einmal zieht auch für vier Seiten Farbe in den Manga ein, beim fünften Kapitel, also genau in der Mitte – sicheres Zeichen dafür, dass sich die Fortsetzungsserie größter Beliebtheit in dem Magazin erfreute, das sie abdruckte, denn einzelne Farbseiten werden in solchen Anthologien nur den aktuell populärsten Geschichten zugestanden. Ansonsten sind alle Kapitel voneinander durch tiefschwarze Seiten getrennt, auf denen bisweilen Schmetterlinge zu erkennen sind. Solche Spiele mit den Möglichkeiten des Druckverfahrens gehören in Japan zur Tradition des Ukiyo-e, also des Holzschnitts, bei dem auch schon immer ausprobiert wurde, was man drucktechnisch machen konnte.

Die Handlung von Die letzte Reise der Schmetterlinge“ ist, wie der Titel vermuten lässt, melodramatisch. Es wird gestorben, geweint, geliebt. Du für japanische Verhältnisse freizügig gezeichnet. Nicht, dass man es hier mit einem Erotik-Manga zu tun hätte, aber dass einmal das Tabu, Schambehaarung zu zeichnen, übertreten wird, ist ungewöhnlich. Kann Takahama, 1977 geboren und eine entsprechend erfahrene Mangaka, weiß genau, was sie tut und wie sie Verstöße kaschieren kann. Darin gleicht sie ihrer Protagonistin. Und das ist wohl das eigentlich Besondere an „Die letzte Reise der Schmetterlinge“: Wie intensiv sich dieser Band auf eine zunächst ganz kalkuliert erscheinende Frau einlässt. Die dann jedoch immer tieferes Empfinden zeigt. Dramaturgisch ist das bis zum letzten Zeitsprung im achten Kapitel höchst meisterlich.