Comic

Comic

Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Kein Anlass für Katzenjammer, aber ein Anlass für die „Katzenjammer Kids“

Ganz hoch oben in der Republik läuft seit einer Woche eine Comic-Ausstellung. Nein, nicht in Oldenburg, das sind es gleich drei, und außerdem geht es noch viel nördlicher. Heide zum Beispiel, eine kleine Stadt in Schleswig-Holstein, genauer gesagt im Dithmarschen, von der Elbemündung ein Stück weiter an der Nordseeküste herauf. Aus der Mitte der Republik nicht leicht zu erreichen. Und deshalb werde ich wohl auch in der Restlaufzeit von noch sieben Wochen (bis zum 22. April) nicht dort hingelangen. Ein Jammer.

Aber kein Grund für Katzenjammer. Pardon, aber diese bemühte Überleitung musste sein, denn die Ausstellung widmet sich Rudolph Dirks, einem Kind der Stadt Heide, geboren 1877, aber wer weiß das schon. Was viele wissen: Dirks hat die „Katzenjammer Kids“ gezeichnet, einen Comic-Strip, der seit 1897 in amerikanische Zeitungen gedruckt wird, bis heute. Man merkt schon: Lange geblieben sein kann Dirks in Heide nicht. Aber nun holt sich die Stadt ihren großen, ja man kann sagen: größten Sohn zurück.

Nicht nur mit der Ausstellung, sondern auch mit dem dazu erarbeiteten Katalog. Und der ist der Grund, dass von Katzenjammer für die Leute, die es nicht bis zum 22. April nach Heide schaffen werden, keine Rede sein kann. Denn der Katalog ist länger zu haben, weil er im Verlagsprogramm von Christoph A. Bachmann erschienen ist, dem eifrigsten und qualitativ auch besten deutschen Verlag für Comicforschung. Da passt der großformatige, farbig gedruckte du 136 Seiten starke Katalog glänzend hin, denn es wird profund darin geschrieben. Mit Alexander Braun hat man den größten Expe4rten für alte Zeitungscomics gewonnen (übrigens auch als Leihgeber etlicher Originale und gedruckten Seiten, die bis ins späte neunzehnte Jahrhundert zurückgehen. Dazu kommen Texte des jungen Kurators der Ausstellung, Benedikt Brebeck, deren Qualität zu den schönsten Hoffnungen Anlass gibt. Und auch die übrigen Beiträge, die sich nicht zuletzt auch der Lokalgeschichte der Auswanderung widmen, sind alle lesenswert. Der Band ist einfach sorgfältig gemacht.

Alles, was die Ausstellung zeigt, hat auch den Weg ins Buch gefunden. Wobei selbst dessen Bilderbuchformat nicht der Anmutung alter Zeitungsseiten ger4echt wird, und die Dirksschen Originale (ganz alte tauchen seltsamerweise nie auf, nicht auf Auktionen, anderen Ausstellungen oder in Sammlungen die meisten bekannten stammen aus den dreißiger und vierziger Jahren) sind auch sehr groß. Also dürfte der Weg auf die Museumsinsel Lüttenheid in Heide, wo die Schau zu sehen ist, allemal lohnen. Schade, dass die ursprüngliche Planung, das Ganze im Hannoveraner Busch-Museum für Karikatur und Zeichenkunst zu zeigen, nicht einmal mehr zu einem späteren Gastspiel dort führen wird.

Die Ausstellung summiert mehr als anderthalb Jahrzehnte Forschung, die in Gang kam, als Dirks Geburtsort identifiziert wurde (zuvor war er fälschlich als „Heinde“ überliefert worden) und Abgesandte der Stadt den damals noch lebenden Sohn John Dirks in Connecticut besuchten, der später den noch vorhandenen Familiennachlass nach Schleswig-Holstein – so erklärt sich die materielle Grundlage der Ausstellung. John Dirks war seinem Vater in den fünfziger Jahren als Zeichner der „Katzenjammer Kids“ gefolgt (die aus rechtlichen Gründen damals „The Captain and the Kids“ hießen, denn gleichzeitig gab es eine Serie unter dem alten Namen, die von jenem Pressekonzern vertrieben wurde, bei dem Dirks 1897 angefangen und den er 1912 verlassen hatte. Die Figuren durfte er mitnehmen, den Namen der Serie nicht. So gab es den eimaligen Fall, dass zwei beinahe gleiche Comic-Strips für Jahrzehnte parallel liefen. Doch „The Captain and the Kids“ hatte den Vorzug, den Erfinder und dann dessen Sohn als Urheber zu haben.

Ausstellung und Katalog dokumentieren aber auch die andere Serie, die „Katzenjammer Kids“ nach 1912, die lange Jahre in den Händen von Harold H. Knerr lagen, der pikanterweise zuvor schon einige Plagiate von Dirks‘ Stil angefertigt hatte. Die Zeitungen kämpften im frühen zwanzigsten Jahrhundert untereinander mit harten Bandagen, und die Rechtslage war alles andere als klar. Der Streit um die Rechte an den „Katzenjammer Kids“ endete in einem Musterprozess, der dann einiges festschrieb, was seitdem in den Vereinigten Staaten urheberrechtlich gilt.

Noch interessanter als diese Aspekte ist allerdings der Blick, den das Dirks-Forschungsprojekt auf einen weiteren Mann dieses Namens wirft: auf Gustav Dirks, den um vier Jahren jüngeren Bruder von Rudolph, der in Amerika auch als Comiczeichner reüssierte und drauf und dran war, den längst etablierten Älteren in der Gunst des Publikums zu überholen – mit seinem Comic-Strip „Bugville“ –, als er sich 1902 im Alter von nur 21 Jahren umbrachte. Warum, ist unklar, auch die jüngste Forschung hat da keine letzte Erklärung parat: Gus Dirks (wie er sich in Amerika nannte) war aller Wahrscheinlichkeit nach depressiv, und es gibt auch Gerüchte, die von Liebeskummer über eine Frau sprechen, die sich für den Bruder entschieden habe. Aber das klingt eine Idee zu spektakulär, als dass ich es glauben mag.

Von Gus Dirks hat sich allein seiner kurzen Schaffenszeit wegen nur wenig erhalten, aber hier wurden für Heide Entdeckungen gemacht. Etwa, dass er den Bruder bei einigen Folgen der jeweils sonntags erscheinenden „Katzenjammer Kids“ im Jahr 1898 als Zeichner vertrat – der Katalog mutmaßt, Rudolph habe sich als Freiwilliger im Spanisch-amerikanischen Krieg gemeldet, während das für den noch minderjährigen Gus nicht in Frage kam. Außerdem hat Alexander Braun einen Cartoon des legendären Zeichners Frederick Burr Opper aus dem Jahr 1899 gefunden, der auf einer Idee von Gus Dirks beruht (was unter Oppers Signatur akribisch vermerkt wurde). Der junge Mann war also schon mitten drin im Comic-Geschäft und arbeitete mit den großen Pionieren zusammen.

Wem das jetzt alles viel zu historiographisch ist, der erfreue ich einfach an den grandiosen Zeichnungen, die – dafür sind die „Katzenjammer Kids“ ja berühmt – von Wilhelm Buschs Vorbild ausgehend die Prinzipien des Comics beinahe im Alleingang entwickeln. Oder besser gesagt: im Passgang, denn offenbar haben sich die Dirks-Brüder gegenseitig in ihren Ideen befeuert. Um diese These zu stützen, bräuchte man indes noch mehr Material von Gus. Aber viel inspirierender als das Heider Projekt kann eine Comic-Ausstellung kaum sein. Der Katalog kostet den Spottpreis von 19,99 Euro und kann hier bestellt werden: https://www.christian-bachmann.de/b_dirkskat.html (eine Leseprobe gibt es nicht, aber hier findet man noch Näheres zur Ausstellung: https://www.heide.de/bildung-kultur/museumsinsel/veranstaltungen.html). Natürlich gibt es den Katalog auch im Buchhandel, aber warum soll man dem engagierten Ein-Mann-Verlag nicht das ganze Geld gönnen?