Der erfreulichste lebende Comic-Export, den Frankreich Deutschland hat zukommen lassen, ist Bernard Granger alias Blexbolex, der seit einigen Jahren in Leipzig lebt. Und dort offensichtlich zufrieden ist, denn seine dort gezeichneten Bücher sind zauberhaft: „Jahreszeiten“ (2010), „Leute (2012), „Ein Märchen“ (2013) und nun nach immerhin fünfjähriger Pause „Unsere Ferien“. Gezeichnet werden sie immer noch für den französischen Markt, aber mit Jacoby & Stuart hat Blexbolex auch einen treuen deutschen Verlag gefunden.
Zu übersetzen gibt es bei ihm nicht viel, im neuen Band sogar überhaupt nichts außer dem Titel; Blexbolex erzählt seine Geschichte stumm. Sie ist simpel: Ein Vater, der mit seiner Tochter in den Ferien weilt, holt plötzlich noch ein weiteres Kind am Bahnhof ab, das die bisherige traute Zweisamkeit stört, zumindest aus der Sicht des Mädchens. Das versucht, den unerwünschten Gast wegzuekeln, und das gelingt auch. Nicht gerade der naheliegendste Stoff für ein Kinderbuch.
Aber ist „Unsere Ferien“ ein Kinderbuch? Aber zunächst einmal: Ist es ein Comic? Die zweite Frage stellte sich bei den drei Vorgängerbüchern von Blexbolex drängende, obwohl der Künstler in den neunziger Jahren zu den beeindruckendsten jungen Comiczeichnern in Frankreich gehörte und mit der Edition Cornelius auch einen der wichtigsten unabhängigen Comicverlage mitgründete. In seinem neuen Buch gibt es nun wieder Bildsequenzen, auch wenn einige Doppelseiten nur mit einer einzigen Illustration gefüllt sind. Doch wesentlich häufiger werden in die großen doppelseitigen Bilder kleine Panels eingesetzt, die das Geschehen fokussieren. Und es gibt auch Doppelseiten mit mehreren gleichgewichtigen Bildern, wobei Blexbolex stets auf Panelrahmen verzichtet: Gedruckt werden die Bilder bis an den Buchschnitt, und die kleinen stehen wie aufgelegt in den Seiten (Leseprobe unter https://www.jacobystuart.de/wp-content/uploads/2018/01/Unsere-Ferien_Leseprobe_.pdf). Aber auch wenn dieses seitenarchitektonische Element fehlt und es keine Sprechblasen gibt – „unsere Ferien“ ist ein Comic.
Als Bilderbuch mag es auch durchgehen, zumal Blexbolex seinen nostalgischen Stil noch einmal verstärkt hat. Alles wirkt wie in den fünfziger Jahren oder gar früher, was seinen Grund auch im erstaunlichsten Kunstgriff des Buchs hat: Den ungebetenen Gast zeichnet Blexbolex nicht als Mensch, sondern als kleinen Elefant. Die Assoziationen zu „Babar“, der erfolgreichen französischen Bilderbuchserie, sind evident, und durch die Fremdartigkeit des Tiers, das aber so agiert. Als wäre es ein kleiner Junge, bekommt die Verstörung des Mädchens über den Besuch eine Berechtigung, die nicht allein in Eifersucht besteht. Wobei man andererseits mit einem kleinen Elefanten, der fies behandelt wird, noch mehr mitleidet, als es bei einem realistisch gezeichneten Jungen der Fall wäre.
„Realistisch“ meint übrigens einen Realismus à la Hergé. Er ist der erkennbar wichtigste Einfluss für Blexbolex, gerade auch in den Bewegungen und Positionen seiner Figuren. „Flip und Flupke“ sind da Vorbild gewesen, mehr jedenfalls als „Tim und Struppi“ – schon allein des weniger abenteuerlichen Geschehens wegen. Seine Ligne claire, die hergétypisch gezeichnete Protagonisten wie in Puppenhäuser oder auf Modelleisenbahnanlagen versetzt, ist eine irritierende Erfahrung, weil Blexbolex die Farben mit dem Computer erzeugt und dabei eine leicht verwischte Druckqualität simuliert, die zur düsteren Gesamtstimmung entscheidend beiträgt.
Kein Buch also, das man unbesehen jedem in die Hand drücken sollte; ein gerüttelt Maß an Skepsis gegenüber Kinderverhalten sollte schon toleriert werden. Dann aber wird man belohnt durch eine melancholische Nostalgie, die etwa von solchen Details ausgeht wie einem roten Schienenbus, der den kleinen grauen Gast befördert. Solche Gefährte konnte man in den siebziger Jahren auch auf deutschen Nebenstrecken noch im Einsatz sehen; in der Nähe meines Kindheitsdomizils bezeichnete man diese Nahverkehrsverbindung ironisch als „Balkanexpress“. So etwas wiederzusehen, ist eine Art Madeleine-Erlebnis. Aber Blexbolex ist ja auch im selben Jahr geboren wie ich.
„Unsere Ferien“ hat auch ein phantastisches Moment zu bieten: über nacht- und Tagträume des Mädchens, die an Hayao Miyazakis Filme erinnern. Große Bezugsgrößen also für einen eher kleinformatigen Band, der aber einmal mehr beweist, was wir an Blexbolex haben.