Comic

Comic

Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Schwarzweißmalerei auf frechste Weise

Es gibt mittlerweile genug allgemein bekannte Comiczeichner, als dass die Nachricht, dass ein prominenter Künstler aus anderem Bereich sich an einer Bildergeschichte versucht hat, noch große Aufmerksamkeit finden würde. Und doch hätte Gerhard Haderer, der beliebte österreichische Karikaturist (besonders bekannt durch seine ganzseitigen Bilder aus dem „Stern“, die 25 Jahre lang, von 1991 bis 2016, jede Woche erschienen) es verdient für seinen „Rozznjogd“. Schon allein deshalb, weil er mit traumwandlerischer Sicherheit einen Stoff ausgesucht hat, zu dem sein gnadenloser Zeichenstil bestens passt. Die Vorlage stammt von seinem Landsmann Peter Turrini. Da haben sich zwei Spötter getroffen …

„Rozznjogd“ war Turinis erstes Theaterstück, geschrieben 1967, als der Dramatiker gerade mal 23 Jahre alt war, aber uraufgeführt erst 1971, und das hatte gute Gründe. Erstmals traute man sich an das Werk eines Anfängers nicht so leicht heran, zum anderen war es ein kompromisslos gesellschaftskritisches Stück, das dann auch genug Skandal erregte, als es am Wiener Volkstheater herauskam. Damals war man sich noch nicht durch die Österreich-Beschimpfungen von Bernhard, Jelinek und eben Turrini abgebrüht, die in den siebziger und achtziger Jahren in dichter Abfolge herauskommen sollten, und „Rozznjogd“ bekam so den gesammelten Zorn der gutbürgerlichen Presse ab. Obwohl seine beiden Figuren her jener sozialen Schicht angehören, die man heute als Prekariat bezeichnet. Oder mit der gewohnt amerikanischen Drastik als „white trash“.

Ein Mann und eine Frau sitzen nachts in einem Auto, das vor einer Müllkippe geparkt ist. Der Dialog der beiden stellt binnen kurzem ihre Lebensentwürfe und -lügen bloß, und nicht nur verbal ziehen sie sich bis auf die Haut aus. Als der Morgen dämmert, sind beide tot. Und erst dann greifen noch ein paar Stimmen ins Geschehen ein, die den Rozzn gehören, also den Ratten.

Der nächtlichen Szenerie wegen, hält Haderer seine knapp über hundertseitige Adaption konsequent in Grauschwarz; nur die Scheinwerfer des geparkten Autos werfen eine hellen Lichtkegel, der hier graphisch immer wieder geschickt eingesetzt wird (die Leseprobe lässt es gut erkennen: https://www.book2look.com/book/978-3-7099-3415-9&biblettype=html5). Alles ist tatsächlich wie auf einer Bühne, außer dass sich Haderer größere Totalen zu Beginn und Schluss erlauben kann, als es ein Theater jemals könnte. Doch gerade die Strenge der ins Bild gesetzten Theatralik ist die größte Stärke dieses Comics, obwohl das paradox erscheinen mag, denn gemeinhin gewinnt eine Adaption, wenn sie sich von der literarischen Vorlage löst. Das tut „Rozznjagd“ aber auch – dadurch nämlich, dass hier zwar Turrinis Figuren spielen, sie aber als typische Haderer-Akteure auftreten: bewusst hässlich proträtiert, Zerr- und Witzfiguren vom ersten Auftritt an. Der Comic gibt damit eine Eindeutigkeit vor, die lebenden Akteuren auf der Bühne schwerfallen würde, wenn sie nicht Gefahr laufen, grotesk erschienen zu wollen. In einem Comic stört das nicht.

Was auf den ersten Blick auf Haderer „Rozznjogd“ störend wirken könnte, ist die Entscheidung, jeweils auf den linken Seiten die hochdeutsche Übersetzung des im österreichischen Dialekt gehaltenen Turrini-Textes abzudrucken. Solche schriftlichen „Simultanübersetzung“ kenne wir aus Film (Untertitel) und Oper (Übertitel), aber Seitentitel wie hier habe ich noch nie gesehen (wenn man mal von zweisprachigen Gedichtausgaben absieht). Zudem hat Haderer die Panelrahmen und Sprechblasen des fertig gezeichneten Comics auf die jeweils linken Seiten übertragen, so dass die hochdeutsche Fassung eine Art Geisterausgabe des eigentlichen Geschehens bietet – wie Stimmen aus dem Nebel. Aber wenn man sich ans Hinüberspringen von der eigentlichen Comic- auf die Übersetzungsseite gewöhnt hat, erweist sich diese Reduktion als klarer Vorteil.

Zumal dadurch die eigentliche Bildergeschichte nicht zerschlagen wird. Wer das Österreichische gut genug versteht – und es ist selbst für einen Rheinländer wie mich nicht nötig, oft Hilfe von links zu suchen –, der kann einfach für sich die linken Seiten ausblenden. Und der grundlegende Schwarzweißkontrast von Haderers Zeichnungen, bekommt durch die Zweiteilung des Comics in die dunklen Comic- und die nahezu weißen Übersetzungsseiten noch eine Verstärkung. „Rozznjogd“ ist nun mal ein Schwarzweißstück. Ein dickes Lob dem Haymon Verlag, dass sie diese ungewöhnliche Form der Übersetzung gewagt haben.

Überhaupt Haymon. Es ist ja nichts Besonderes mehr, dass literarische Verlage auch Comics ins Programm nehmen, besonders gerne Adaptionen von Romanen oder Dramen (siehe die Bernhard-Comics von Nicolas Mahler bei Suhrkamp, um nur das erfolgreichste Beispiel zu nennen). Aber so wie Suhrkamp klugerweise auch fast nur Suhrkamp-Autoren adaptieren ließ und damit ein eigenes Profil fürs Comicprogramm des Hauses schuf, hat der österreichische Verlag Haymon nun ein österreichisches Traumpaar ausgewählt (obwohl Turrini Suhrkamp-Autor ist und also Haderers Version der „Rozznjogd“) auch dort gut hätte erschienen können.. Und bald wird beim österreichischen Residenz-Verlag, der renommiertesten literarischen Adresse des Landes, Bernhards mehrbändige Autobiographie als Comic erschienen. Unser Nachbarland ist uns in Sachen qualitätvoller Comic-Adaptionen erstaunlich weit voraus.