Comic

Comic

Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Würdig wie der Manga-Meister selbst

Jiro Taniguchi starb am 11. Februar 2017, und wer dieses Blog über die Jahre mitgelesen hat, der weiß, was mir mit diesem japanischen Mangaka verlorengegangen ist. Er verband die fernöstliche mit der europäischen Comic-Kultur, weil er Moebius bewunderte und sich in den neunziger Jahren auch mit ihn angefreundet hatte. Taniguchis „Spazierender Mann“ bedeutete kurz danach den westlichen Durchbruch für „Seinen Manga“ (japanische Comics für ein erwachsenes Publikum), obwohl Keiji Nakazawas „Barfuß durch Hiroshima“ oder Katsuhiro Otomos „Akira“ schon vorher großen Erfolg in Europa und Amerika gehabt hatten. Aber „Der spazierende Mann“, im Original 1992 publiziert, war im Vergleich mi diesen beiden Meilensteinen viel europäischer gezeichnet – auch mehr als das bisherige Werk Taniguchis –, sehr nahe an Moebius, und das erleichterte den Zugang für westliche Leser ebenso wie die Erzählstruktur dieser meist als Selbstgespräch inszenierten Flaneursgeschichte, die an die international erfolgreichen Filme von Yasujiro Ozu erinnerten. Taniguchi vereinte damit das Beste zweiter Comicwelten und wurde zum Liebling einer älteren Comicleserschaft, die ansonsten oft Schwierigkeiten mit Manga hatte.

Das Spätwerk Taniguchis, das verständlicherweise dann vom Erfolg des „Spazierenden Manns“ beeinflusst wurde, ist in Deutschland gut vertreten; seine früheren Erfolge, etwa die Historienserie „Botchan no jidai“, vermisse ich dagegen seit Jahren (immerhin kann man sie auf Französisch oder Englisch lesen). Und was hierzulande auch noch fehlte, waren die allerletzten Arbeiten des Zeichners, den der Tod mitten aus der Arbeit riss. So etwa die Adaption einer Kurzgeschichte des berühmten japanischen Schriftstellers Hyakken Uchida (1889 bis 1971), die kurz vor dem Abschluss stand, als Taniguchi starb: Zwanzig der insgesamt nur dreißig Seiten waren fertig, die letzten zehn immerhin schon skizziert. Und in diesem bewegenden Fragmentzustand kann man „Die Begleiterin“, wie Taniguchi seinen Comic betitelte, jetzt lesen: in einem Band, den der Carlsen Verlag als letzten Gruß an seinen langjährigen Autor herausgebracht hat, wunderschön gestaltet und zauberhaft betitelt – „Unruhige Geister und stille Gefährten“.

Das trifft die Stimmungen der insgesamt fünf Erzählungen darin perfekt, denn es sind in gewisser Weise alles Geistergeschichten, die meisten indes in jener typisch japanischen Form, die eher ambivalente, oft sogar hilfreiche, als böse Geister kennt. Wobei es bemerkenswert ist, dass zwei der Geschichten auf Erzählungen des englischen Schriftstellers Lafcadio Hearn zurückgehen, der Ende des neunzehnten Jahrhunderts nach Japan gezogen war und sich der dortigen Lebensweise anpasste – damals höchst ungewöhnlich angesichts des westlichen Überlegenheitsgefühls. Taniguchi zeichnet Hearn selbst als Akteur in dessen Geschichten; natürlich als westliche „Langnase“ und mit dem markanten blinden linken Auge, das in den beiden Manga aber zu einer Art zweitem Gesicht fürs Übersinnliche wird. Grandios, wie Taniguchi hier die konkrete Figur seines Vorlagenautors benutzt, um ganz in dessen Sinne graphisch zu erzählen.

Wobei diese beiden Episoden wie auch die beiden sie rahmenden Gespenstergeschichten um einen Leuchtturm und einen Burgberg ganz im vertrauten Stil Taniguchis gehalten sind. Die erste, „Aus einer anderen Welt“ betitelt, kann als Leseprobe komplett abgerufen werden: https://www.carlsen.de/hardcover/unruhige-geister-und-stille-gefaehrten/101705#, wenn auch etwas Findigkeit gefragt ist, um die Seiten zu bekommen. Sie ist für eine französische Publikation angefertigt worden und deshalb nicht in japanischer Leserichtung von rechts nach links konzipiert. Dass sie im Band dann doch zumindest der Seitenabfolge nach japanisch angeordnet ist, liegt daran, dass der Gesamtband auf klassische Manga-Weise zu lesen ist, also in europäischer Betrachtung „von hinten nach vorne“. Aber die Bilder auf den Seiten der ersten Geschichte bleiben westlich arrangiert – ein ziemlich irritierendes Verfahren.

Es wäre indes bedauerlich gewesen, wenn diese Erzählung aus formalen Gründen entfallen wäre, weil sie die „klassischste“ Taniguchi-Geschichte im Band ist. Die Lafcadio-Hearn-Adaption nimmt dagegen die „Botchan“-Ästhetik auf (auch ihres Handlungszeitraums in der Meiji-Zeit wegen), und „Der magische Berg“ ist eher eine Kindergeschichte, allerdings angesiedelt in Taniguchis eigener Heimatstadt Tottori und deshalb für seine Leser ganz besonders autobiographisch-melancholisch zu verstehen – wenn auch der kindliche Protagonist knapp zehn Jahre später geboren ist als Taniguchi selbst.

Und dann kommt ganz zum Schluss, wie es ja auch lebenschronologisch sinnvoll ist, der ästhetische Bruch zur „Begleiterin“, einer wie mit Bleistift gezeichneten, aber doch getuschten Geschichte. Taniguchi verleiht seinen Figuren hier durch Schattierungen ein Volumen, das geradezu räumlich wird, eine Technik, die in Frankreich von Patrice Killoffer in Vollendung beherrscht (aber nur selten angewendet) wird. In seinen letzten Wochen brach Taniguchi also noch einmal zu neuen Ufern auf, und man kommt kaum umhin, darin ein Zeugnis seines Wissens um den nahen Tod zu sehen – ähnlich wie es der Filmregisseur Akira Kurosawa in seinem Alterswerk „Träume“ gemacht hat, das in Erzählton und Bilderstimmung Taniguchis „Begleiterin“ verblüffend gleicht.

Dieser letzte Gruß aus Deutschland an den großen japanischen Mangaka ist dessen würdig, denn Einband, Papier- und Druckqualität sind erstklassig (und der Preis von 22 Euro erfreulich niedrig für diese Ausstattung). Nur schade, dass auf den skizzierten Seiten der „Begleiterin“ die deutschen Texte neben die unretuschierbaren japanischen gesetzt wurden. Das sieht kläglich aus, eine Fußnotenlösung wäre da viel besser gewesen. Dafür aber hat man dem Band noch Auszüge aus Taniguchis letztem Skizzenbuch beigegeben und einen schönen Text über seine Liebe zu Frankreich. Man sieht dem Meister bei der Arbeit zu, und man hört ihn erzählen. Das wirkt selbst wie eine wunderbare Geistergeschichte. Domo arigato, Taniguchi-sensei.