Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Hobelspanerschütternd

Die Vielzahl von Literaturklassiker-Adaptionen als Comics reißt auf dem deutschen Markt nicht ab. Für das kommenden Frühjahr ist vom Großmeister dieser Form, dem Österreicher Nicolas Mahler, der heute Abend den diesjährigen Sondermann-Preis verliehen bekommt, der „Ulysses“ von James Joyce angekündigt (Bei Suhrkamp), und das, was ich von diesem Wer kenne, gibt zu den schönsten, vor allem originellsten Hoffnungen Anlass. Bald wird wohl auch das gerade in Frankreich erschienene neueste Album von Stéphane Heuets nunmehr bereits zwanzig Jahre in Arbeit befindlicher Comicreihe „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ in deutscher Übersetzung bei Knesebeck herauskommen. Diese Adaption währt nun schon länger, als Marcel Proust selbst an seinem Zyklus geschrieben hat, und wird trotzdem wohl über den zweiten von sieben Romanbänden nicht hinauskommen.

Heuet geht ganz anders an das literarische Original heran als Mahler (der auch schon eine Proust-Adaption vorgelegt hat), nämlich ganz detailgetreu. Mit den beiden Autoren sind die Extreme des Umgangs von Comiczeichnern mit literarischen Vorlage benannt. Dazwischen ist viel Platz, und eine Position wird nun von Andreas Eikenroth bezogen, von dem man wohl alles andere erwartet hätte als einen Klassiker-Comic. Eikenroth, Jahrgang 1966, von mir hochgeschätzt (siehe in dieser Blogserie https://blogs.faz.net/comic/wp-admin/post.php?post=391&action=edit und https://blogs.faz.net/comic/wp-admin/post.php?post=721&action=edit), ist mit seinem hinreißend rauen Strich ganz weit weg von dem, was man sich als „klassisch“ vorstellt. Aber der Gegenstand seines neuen Albums, das wieder in der Wuppertaler Edition 52 erscheint, deren Einsatz für qualitätvolle Comics man gar nicht genug bewundern kann,  ist auch einer der ungebärdigsten deutschen Klassiker: Georg Büchner.

Sein unvollendetes Drama „Woyzeck“ sorgte für den postumen Durchbruch des 1837 im Schweizer Exil  frühverstorbenen Dichters, und der erfolgte erst 1913 mit der Uraufführung in München, aber dann machte das Stück Furore und gilt heute als wagemutigste Theaterschöpfung der deutschen Literatur im neunzehnten Jahrhundert, als Vorwegnahemdes Expressionismus – eine Textstelle nur, in der der Titelheld Woyzeck betrunken ist: „Wen alle Leut‘ wüssten, wieviel Uhr es ist, sie würden sich ausziehn und ein sauberes Hemd antun und sich die Hobelspän‘ schütteln lassen.“ Das dürfte die Wahl dieses Stoffs durch Eikenroth begünstigt haben, während Comiczeichner sonst vor Bühnenstücken eher zurückschrecken, obwohl Comic und Theater formal mehr gemein als etwa Comic und Roman. Aber was haben wir denn an entsprechenden Adaptionen? Natürlich wieder Nicolas Mahler mit Thomas Bernhards „Weltverbesserer“, und dann vor sehr langer Zeit Ralf König mit „Lysistrata“ nach Aristophanes. Mehr Bemerkenswertes fällt mir im Moment nicht ein.

Eikenroth nennt seine „Woyzeck“-Adaption „eine grafische Inszenierung nach den Fragmenten von Georg Büchner“. Gut gesagt, denn der in Gießen (Büchners Studienort!) lebende Zeichner bietet wirklich großes Theater auf seinen sechzig Seiten. Bildästhetisches Vorbild ist dabei eindeutig George Grosz, also ein Zeichner, der zu der Zeit populär war, als „Woyzeck“ auf den deutschen Bühnen seinen Durchbruch, ach was: Durchmarsch erlebte: in der Weimarer Republik. Das passte damals gut zusammen, und heute ist das immer noch so (eine Leseprobe bietet der Verlag leider nicht an, aber das Titelbild kann stellvertretend für den Rest stehen: https://edition52.de/produkt/woyzeck). Die Groszschen Zerrbilder sind wie für Büchners hochnervöse Figuren geschaffen. Alles spielt bei Eikenroth perfekt ineinander.

Auch die Panels, die ungetrennt ineinander übergehen, wodurch jeweils seitengroße Bilder entstehen, in denen der Lesefluss höchst geschickt durch die Plazierung der Textelemente und fallende Linien gesteuert wird. Die Dekors haben etwas bewusst Kulissenartiges, und die Farben sind bonbonbunt – alles denkbar theatralisch. Dass mit der Wahl des Grosz-Stils auch die ganze Handlung in eine eher nach frühem zwanzigsten als frühem neunzehnten Jahrhundert aussehende Szenerie verlegt wurde (Büchner diente ein realer Leipziger Mordfall von 1821 als Anregung), stört keineswegs. Zudem entspricht diese Verschiebung dem üblichen Vorgehen des deutschen Regietheaters, das jegliche historische Werktreue geradezu abhorresziert. Auch da also ist Eikenroth ganz nahe am Theater.

Wie bei den meisten geglückten Adaptionen hat man auch an Eikenroths „Woyzeck“ noch mehr Freude, wenn man die Vorlage kennt. Zumal der Zeichner in den Text eingegriffen hat, hier kürzte, dort frühere Entwürfe miteinbezog, im Ganzen die Szeneabfolgen neu arrangierte, so dass auch der begeistertste Büchner-Leser noch herausgefordert wird. Gleichzeitig hat Eikenroth einen durch lesefreundliche „Woyzeck“ geschaffen – was man vom Büchner-Drama nicht behaupten kann, also könnte diese Adaption tatsächlich einmal der Popularisierung des Stoffs nützlich sein. Nicht, dass ich erwartetet, dass nun Comicleser in die Theater stürmen werden, geschweige denn das Textbuch kaufen. Aber der Fall des zum Mörder werdenden Soldaten Woyzeck ist psychologisch viel zu interessant, als dass nicht jede Möglichkeit, Kenntnis über ihn zu vermitteln, hochwillkommen wäre. Warum nicht mal mit einer Schulklasse diesen Comic lesen, statt ins Stadttheater zu gehen? Falls Letzteres überhaupt noch irgendwo (und dann auch noch gerade mit einem Büchner-Stück) auf dem Lehrplan steht.