Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Die ersten Runden muss man überstehen

Ich bin nicht ganz sicher, aber über wenige Comiczeichner dürfte ich ähnlich oft in diesem Blog geschrieben haben wie über Jiro Taniguchi. Davon auch noch einige Male nach seinem Tod im Jahr 2017, aber was ein erfolgreicher Mangaka ist, der hat auch ein Werk vorzuweisen, hinter dessen Umfang das der meisten westlichen Kollegen weit zurückbleibt. Und da Taniguchi erst mit der Jahrtausendwende in den Fokus der europäischen Leser kam (wenn man mal vom Kollegen Moebius absah, mit dem Taniguchi eine wechselseitige Faszination verband) und es bis zur ersten deutschen Publikation sogar noch ein paar Jahre länger dauerte, ist nach wie vor unglaublich viel aufzuholen.

 Immerhin kümmern sich in Deutschland gleich zwei Verlage darum: Carlsen mit dem Spät- und Schreiber & Leser mit dem Frühwerk. Letzteres ist ungleich größer, denn Taniguchi erwarb auch im eigenen Land erst relativ spät den Nimbus eines Großmeisters, und erst dann dünnte er die eigene zuvor immense Produktivität etwas aus. Bis dahin hatte er vor allem auf der Grundlage von fremden Szenarien so viel gezeichnet, wie ihm (und den üblichen Assistenten eines Mangaka) nur möglich war. So zum Beispiel nach Geschichten von Caribu Marley: Gleich dreimal arbeiteten die beiden Comicschaffenden Anfang der achtziger Jahre zusammen. Eines der Resultate war 1982 der Manga „Ao no senshi“, der jetzt als „Blue Fighter“ bei Schreiber & Leser erscheint.

Es ist ein One-shot, ein Einzelband von „nur“ knapp mehr als dreihundert Seiten, also in Manga-Kategorien eine Art Kurzerzählung. In neun Fortsetzungen wurde sie ursprünglich publiziert. Es ist ein typischer Genre-Comic, wie Taniguchi sie liebte, bevor er sich sein eigenes Genre schuf: das der poetischen Alltagsbeobachtung. Hier dagegen ist nichts poetisch und auch nichts Alltag. Titelheld ist ein exzessiv lebender japanischer Boxer im Leichtgewicht, der den Kampfnamen „Reggae“ trägt, weil er Bob Marley bewundert (was sein Szenarist wohl auch tut, denn warum hätte dieser Garon Tsuchiya sich sonst Caribu Marley nennen sollen?). Reggae ist aber kein Star, sondern ein Phänomen. Seine Kampfstatistik weist mehr Niederlagen als Siege auf (alle Kämpfe endeten mit K.O.), aber das Publikum liebt seine ungestümen Stil, der ihn entweder bis zur vierten Runde gewinnen lässt oder ihm in einer der acht Runden danach sichere Niederschläge beschert. Und eines Tages taucht ein amerikanischer Boxpromoter am Rand des Rings in Japan auf.

Dieser Dangelo will Reggae ganz groß herausbringen, denn er erkennt in ihm eine ungezügelte Naturgewalt, die es nur zu kanalisieren gilt, um sie unschlagbar zu machen. Das Schema dieser Geschichte ist altbekannt, und es kann kein Zufall sein, dass kurz vorm Erscheinen von „Blue Fighter“ sowohl „Rocky“ als auch „Raging Bull“ Massen in die Kinos zogen und Fimpreise abräumten. Wobei Caribu Marley seine Handlung geradezu zeitaktuell konzipierte, denn Dangelo ist dezidiert auf der Suche nach charismatischen Boxern aus unteren Gewichtsklassen, weil er das Ende vom Mythos des Schwergewichtsboxen absieht: Muhammad Ali steht bereits jenseits seines Zenits, vergleichbare Stars in der bisherigen Königskategorie sind nicht in Sicht. Genau so war es Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger. Und dann kamen wirklich die kleineren Drahtigen ins Spiel: Sugar Ray Leonard etwa, Marvellous Marvin Hagler und wie sie alle hießen.

Solch ein Star wird der von Dangelo als „Blue Fighter“ vermarktete Reggae nie. Aber er wird um die Weltmeisterschaft kämpfen, und wie er das schafft, das beschreiben Taniguchi und Caribu Marley denkbar sensationalistisch. Korruption, Sex, Drogen, illegale Absprachen – alles, was das Klischee zur moralischen Verkommenheit des Berufsboxsports bereithält, wird hier benutzt. Taniguchi war zweifellos Boxfan, denn wäre er es nicht gewesen, könnten die Kampfszenen nicht eine derartige Intensität erreichen und vor allem hätte er in seiner Karriere nicht mehrere Box-Manga gezeichnet. Echte Liebe zum Thema aber, wie sie etwa seine zahlreichen Comics übers Bergsteigen in jedem Einzelbild vermitteln, spürt man hier nicht.

Dafür kann man in „Blue Fighter“  früher als sonstwo Taniguchis Inspiration durch Moebius sehen: Sein Reggae verdankt sich in der Figurendarstellung dem Westernhelden Blueberry, den Moebius unter seinem bürgerlichen Namen Jean Giraud gezeichnet hat. Wenn man will, kann man auch in den Titeln „Blueberry“ und „Blue Fighter“ dieses Parallele sehen. Wobei sich das europäische Element in Taniguchis Bildern hier noch auf die Hauptfigur beschränkt; der Rest ist ganz Old-school-Manga, wie man der Leseprobe entnehmen kann: https://www.schreiberundleser.de/index.php?main_page=popup_img&pID=678&imgType=lese1.

Entsprechend rasch liest sich das Ganze, wobei es erstaunlich wenig wortlose (Kampf-)Sequenzen gibt. Melodramatik ist Trumpf, und einmal mehr feiert Taniguchi in seinem Manga das Einzelgängertum. Caribu Marley hat ersichtlich verstanden, was man diesem Zeichner bieten musste. Braucht man aber als Leser diese Vorgeschichte zur Erfolgsgeschichte des Jiro Taniguchi? Nun, allein schon die jeweils seitenfüllenden Close-ups an den meisten Kapitelanfängen lohnen die Anschaffung. Und das sportsoziologischen Porträt eines Boxsports leicht unterhalb der Weltwahrnehmung ist auch interessant. Aber wer Taniguchi über den „Spazierenden Mann“ kennengelernt hat oder über „Vertraute Fremde“, der wird staunen, wie ungeschlacht dieser große graphische Stilist hier noch zeichnete. Man könnte thematisch passend sagen: Er kämpfte mit sich selbst. Und ich bin geneigt zu sagen: Er verlor damals durch K.O. Nur ist die Bilanz von Taniguchi nicht am numerischen Verhältnis von Siegen und Niederlagen zu bestimmen, sondern an der Qualität seiner Siege. Das waren alles Schwergewichte; fürs Leichtgewichtige à la Reggae war sein Talent verschwendet. Worauf es ankam, war, diese ersten Runden zu überstehen.