Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Vom Willen verweht

Im neuesten Album der Serie „Lucky Luke“ (dem angeblich neunundneunzigsten, was fürs nächste ein großes Remmidemmi erwarten lässt, wobei die Zählung nur deshalb so hoch ausfällt, weil einige Geschichten in Deutschland doppelt publiziert wurden) findet sich eine Vorbemerkung des seit mittlerweile sechzehn Jahren als Stammzeichner der Reihe agierenden Hervé Darmenton alias Achdé. Darin erweist er dem im März verstorbenen „Asterix“-Zeichner Albert Uderzo seine Reverenz: „Was sein Talent anging, war er ein Gigant.“ Achdé spricht von Zeichner zu Zeichner, und somit hat er recht. Was den Autor Uderzo angeht, konnte er schweigen. Auch im neuesten „Lucky Luke“-Band arbeitet Achdé ja wieder nach einem fremden Szenario, diesmal von Jul (Julien Lucien Berjeaut, geboren 1974), der damit sein Debüt als „Lucky Luke“-Autor gibt.

Und man könnte meinen, dass Achdé so viel Sympathie für Uderzo empfindet, weil er mit demselben Problem konfrontiert ist wie der „Asterix“-Zeichner: schlechte Geschichten, die man dann schönzeichnen muss. Nun war Uderzo selbst schuld daran, denn so lange er die Rechte an „Asterix“ besaß, behielt er sich selbst die Abfassung neuer Geschichten vor. Achdé dagegen ist im Auftrag der Erben des 2001 gestorbenen „Lucky Luke“- Schöpfers Morris tätig und kann sich nicht aussuchen, was geschieht. Es ist ja bezeichnend, dass beide Serien nie wieder das Niveau erreicht haben, dass sie hatten, als jeweils noch René Goscinny die Geschichten schrieb.

Immerhin wurde bei „Lucky Luke“ seither viel ausprobiert. Der jüngste Band indes verfällt nun in denselben Fehler, den Uderzo vor Jahren schon begangen hat: Die erfolgreiche Comicreihe soll politisch werden, indem sie zwanghaft als aktuell empfundene Themen in den Kosmos der Serie integriert. Bei „Asterix“ waren es etwa Feminismus und Manga, bei „Lucky Luke“ ist es nun „Black Lives Matter“. Denn das neue Album widmet sich dem Thema Rassismus in den Vereinigten Staaten.

Eigentlich war das überfällig. Denn „Lucky Luke“ spielt ja zu Zeiten, in die Sezession, Bürgerkrieg und Reconstruction fielen – alles Folgen der Sklaverei und des Bemühens, sie abzuschaffen. Nun agiert Lucky Luke normalerwiese im Wilden Westen westlich des Mississippis, also nicht in ehemaligen Sklavenhalterstaaten. Diesmal aber lässt ihn Jul nach Louisiana reiten, wo ihm eine begeisterte Leserin seiner Abenteuer eine Baumwollplantage hinterlassen hat.

Das ist eine witzige Idee, denn damit werden die Comics zu zeitgenössischen Berichten. Im Herrenhaus der alten Dame hängen an den Wänden Porträtbilder von Lucky Luke, die den verschiedenen Stadien seiner Gestaltung seit 1947 durch Morris entsprechen – eine Ahnengalerie, mit der Achdé den eigenen Ahnherren feiert. Die Bewunderung der alten Dame wiederum für Lucky Luke ist ein Missverständnis, denn ihre moralische Überzeugung entspricht nicht der des integren Cowboys, der keinerlei Rassenvorurteile hegt. Sie dagegen hat die vierhundert Arbeiter auf der Plantage auch nach Beendigung der Sklaverei munter weiter ausgebeutet.

Man kann darin einen augenzwinkernden Seitenhieb auf das Lesepublikum von „Lucky Luke“ erkennen, das auch bloß in wohliger Nostalgie genießt, aber keine humanistischen Konsequenzen aus seiner Lektüre zieht.  Also bekommt es jetzt ein grundmoralisches Album. Und eine neue Figur, die brillant ausgewählt ist: Bass Reeves, einen realen schwarzen Hilfsmarshall, den Jul und Achdé zu einem ebenbürtigen Partner von Lucky Luke machen: in Sachen martialischer Kompetenz, aber auch als langjährigen Freund des einsamen Cowboys, bei dem man sich aber fragt, wo er denn bislang in beinahe hundert Abenteuern gewesen ist. Die Bemühung, eine neue Figur gleich zur ganz großen Gestalt aufzublasen, hat leider etwas sehr Bemühtes.

Wie der deutsche Titel: „Fackeln im Baumwollfeld“, eine Anspielung auf  bekannte Südstaaten-Epos „Fackeln im Sturm“. Nun ja, wenn’s der Leserbindung dient. Schöner schon, dass eine starke Frauenfigur unter den schwarzen Plantagenbewohnern den Vornamen von Angela Davis trägt. Und am schönsten sind die Bilder des Albums. Da der deutsche Verlag keine ordentliche Leseprobe im Netz anbietet, sei hier die französische von Dargaud genannt: https://www.dargaud.com/bd-en-ligne/les-aventures-de-lucky-luke-dapres-morris-tome-9/9810/eb94b945002bca10105121e388692757. Aber gerade die – pardon – sklavische Treue von Achdé zur Linie von Morris lässt die Defizite von Juls Geschichte umso drastischer hervortreten, denn man wünscht sich nicht nur Schönheit, sondern auch Intelligenz, wie es sie früher in der Serie einmal gab. Hier ergänzen sich  viele Handlungsstränge bis hin zu einem völlig überflüssigen Seitensprung zu den Daltons nicht zum großen Ganzen, sondern zu einer narrativen Farce. Zumal etliches schlecht geklaut ist, etwa der groteske Auftritt des Ku Klux Klans beim grandiosen Spielfilm „O Brother, Where Art Thou?“ der Coen-Brüder. Die satirische Absicht scheitert im Comic am kreuzbraven Willen zur Güte. Der Witz wird vom guten Willen verweht.

Eine gute Geschichte zu erzähle wird nicht dadurch erleichtert, Geschichtsschreibung im Dienste des Gurten zu betreiben. Oder simpler formuliert: Gut gemeint bedeutet leider immer noch nicht gut gemacht, und so ist das bislang allgemeine Lob im Blätter- und Websiteswald für „Fackeln im Baumwollfeld“ nicht mehr als ein allgemeines Missverständnis, das die Qualität von Kunst an ihrer polirischen Korrektheit misst. Seltsam, aber so steht es geschrieben.