Comic

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Diese Erzählform vereint das Beste beider Kunstwelten: Wort und Bild. Was man davon lesen und was man besser meiden soll, steht hier.

Verschattet der Blick, umnachtet die Adaption

Marguerite Duras ist eine Ikone der Frauenbewegung und der Literatur gleichermaßen. Ihr Drehbuch zu dem Spielfilm „Hiroshima, mon amour“ von Alain Resnais aus dem Jahr 1959 machte sie schlagartig berühmt, und ich stehe nicht an, es als das Beste zu bezeichnen, das ich von ihr gelesen habe. Nur Nabokov hat unter den großen Schriftstellern im Medium des Drehbuchs mit seiner Umarbeitung des eigenen „Lolota“-Romans etwas ähnlich Souveränes geschaffen.

Aber das berühmteste Buch von Duras ist selbstverständlich „Der Liebhaber“, erschienen 1984 und damals mit dem Prix Goncourt, der wichtigsten französischen Literaturauszeichnung, geehrt. Wobei auch hier erst ein Film notwendig war, um das Buch in aller Munde zu bringen: 1992 durch Jean-Jacques Annaud, leider ohne Beteiligung der Autorin, die aus dem Stoff auf der Leinwand etwas anderes gemacht hätte als einen Softporno. Aber publikumswirksam war die erotisierende Banalisierung allemal. Und leider auch stilprägend, was die Wahrnehmung des „Liebhabers“ angeht. Das kann man noch bei der jetzt entstandenen Comicadaption des Stoffs erkennen.

Pardon: Mangaadaption. Die 1977 geborene Kan Takahama hat sich in den letzten Jahren einen großen Ruf als feinsinnige Zeichnerin von Liebebeziehungsgeschichten erworben und  wandelt graphisch auf den Spuren von Jiro Taniguchi im Bemühen, europäische Elemente mit dem japanischen Manga-Mainstream zu verbinden. Das kommt der westöstlichen Thematik des „Liebhabers“ natürlich entgegen. Und der Zugänglichkeit des Manga: Vor zwei Jahren in Japan veröffentlicht, ist er jetzt auf Deutsch bei Carlsen erschienen – bezeichnenderweise nicht im Mangasegment des Verlags, sondern in der Graphic-Novel-Seite und auch noch – undenkbar für Manga-Afficionados – in europäischer Leserichtung. Aber mit dem Band will man ja auch nicht die Kids, sondern deren Eltern erreichen – oder noch genauer: deren Väter, die für die milde Erotik etwas übrig haben dürften.

Fünfzehnjähriges Mädchen verliebt sich in einen zwölf Jahre älteren Mann. Naja, „Lolita“ hat Zweifelhafteres zu bieten. In beiden Büchern aber ist das Mädchen zur eigentlichen Femme fatale stilisiert, die Männer sind nur die Getriebenen. Nabokov ist das verübelt worden, Duras wurde als sexuelle Befreierin gefeiert. Allerdings ist das auch schon dreieinhalb Jahrzehnte her, und heute liest man den Roman weniger unschuldig oder emanzipationsbewegt. Wobei zu bedenken ist, dass Duras ihre eigene Geschichte erzählt, während man Nabokovs „Lolita“ mit gutem Grund eine Männerphantasie nennen darf.

Der (milde) Skandal, den das Buch 1984 machte, resultierte aus der Tatsache, dass das nie bei Namen genannte Liebespaar aus einer in Vietnam lebenden Französin und einem Chinesen bestand. In der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich war das heikler als anderswo, aber Duras hatte schon mit „Hiroshima, mon amour“ ein heißes Eisen angepackt: die Liebebeziehungen französischer Frauen zu deutschen Besatzern im Zweiten Weltkrieg. Sie konnte das, gerade weil sie dessen unverdächtig war – Duras war Résistancekämpferin. Aber auch damals ließ sie die anrüchige Liebschaft von einer Frau erinnern, die gerade mit ihrem japanischen Liebhaber im Bett war. Ein Skandal kaschierte den anderen.

Bei Kan Takahama ist von dieser Brisanz einer multiethnischen Liebe nichts zu spüren, geschweige denn zu sehen. Sie muss den Film von Annaud häufig gesehen haben, denn einige Bettszenen im Zwielicht der Moskitonetze und Jalousien sind wie von der Leinwand übernommen. Die spezifische Manga-Prüderie bei der Darstellung von expliziten Sexszenen ist auch hier evident: keine Geschlechtsteile, nicht einmal ein Schamhaar, aber Andeutung von erotischer Ekstase, die dadurch umso unglaubwürdiger wirkt. Ales ist Stimmung in diesem Comic, nichts Analyse oder auch nur historische Reminiszenz an die zwanziger Jahre in Saigon, während der Roman von Duras beides leistet. Die Liebesbeziehung ist bei ihr eine Horizonterweiterung, das sexuelle Erwachen eines für die politische Wirklichkeit des Kolonialismus. Und die Lösung des Mädchens von seinem Liebhaber wird zur Selbstermächtigung. Doch das Buch wird vom Comic um diesen Anspruch betrogen.

Das wird von der Leseprobe, die der Verlag anbietet (https://www.carlsen.de/hardcover/der-liebhaber/115650#), kaschiert. Allerdings gar nicht böswillig (oder geschäftssinnig), sondern deshalb, weil Carlsen einfach immer pauschal die ersten Seiten seiner Comics ins Netz stellt. Hier bestehen die ersten Seiten aber aus dem umfänglichen Vorwort von Kan Takahama, die ihr Projekt preist, und dann lediglich sechs Comicseiten, die aus der Perspektive der mittlerweile achtundsechzigjährigen Duras den Beginn der Erinnerung an deren Jungend in Vietnam darstellen – ein einziges Bild der Leseprobe zeigt dann das Jahr 1929, in dem das Gros der 150 Seiten der Adaption angesiedelt ist. Etwas Mühe könnte sich auch der Verlag machen.

Aber es wäre ja kontraproduktiv, weil man dann sehen würde: Die Adaption ist so dauerverschattet wie der Blick der jungen Frau, die uns und ihren Liebhaber derart monoton mit Schlafzimmeraugen anschaut, als dächte sie permanent nur an das eine. Marguerite Duras aber dachte an so viel mehr. In „Der Liebhaber“ steckt noch eine Comicadaption, auch noch eine Verfilmung, wenn sich jemand der Sache annehmen würde, der so frei wie Duras denkt.